
Im Heft 6/13 beglückwünschen 12 Männer und Frauen der Öffentlichkeit das FIBL zum 40 jährigen bestehen und zum erreichten Stand. Anschliessend schreibt Ursina Eichenberger: „Das FIBL gibt Bio eine wissenschaftliche Basis“. Darin kommt auch die Frage nach einer möglichen Konventionalisierung des Bio auf. Der grosse Erfolg und das starke Wachstum haben eben auch eine Kehrseite, schreibt sie. So übten Bund, Grossverteiler und Interessengruppen einen zunehmenden Druck auf Bio aus. Fortschrittliche sehen in dieser Bemerkung sehr schnell den Erfolgs-Bremsklotz der rückständigen Fundamentalisten, oder die Gefahr von Spaltungstendenzen innerhalb der Biobewegung. Ist die Kehrseite der Erfolgsmedallie nur ein Phänomen der Biobewegung? Bei weitem nicht. Vor über 100 Jahren wurden Kantonalbanken gegründet, weil das damalige Finanzwesen sich zu sehr auf die Wohlhabenden stützte, und einfache Menschen kaum zu Krediten Zugang hatten. Die Reglemente dieser Volksbanken verboten risikoreiche Anlagen. Mit der Zeit wurde Geld aber vom ursprünglichen Zweck als Tauschobjekt zum selbständig sich vermehrenden Wirtschaftszweig. Das zugunsten verfolgter Juden in der Nazizeit eingeführte Bankgeheimnis wurde nach dem 2. Weltkrieg nicht abgeschafft, sondern zum Instrument der Fluchtgeldwerbung und zum grossen Schlager der Schweizer Banken „weiter entwickelt“. Der Urgedanke wurde nicht konventionalisiert, sondern dem neuen Zeitgeist angepasst. Ein Zeitgeist der nicht überlebensfähig ist, wie die gegenwärtige Debatte um das Bankengeheimnis zeigt. Vor bald 60 Jahren wurde in Cham die erste Batteriehaltung für Legehennen als wissenschaftlicher Beitrag zur Rationalisierung der Hühnerhaltung gezeigt. Heute ist sie ebenso verboten, wie die mit Millionen Subventionsgeldern erbauten Kurzstandstallungen mit elektrischem Kuhtrainer. Die Steigerung der Rendite wurde unbemerkt zur neuen Religion, der sich alle Wirtschaftssektoren zu beugen hatten. Seitdem immer mehr Menschen wahrnehmen, dass die Nahrungsmittelkosten zwar von 30% des Einkommens auf 7%, (für Nahrungsrohstoffe 2%) gesunken, die Gesundheitskosten aber in ähnlichem Rahmen gestiegen sind, könnte das die Kehrseite der Medallie sein.
50 Jahre nach anlaufen der Biobewegung wurde Biolandbau immer noch nicht ernst genommen. Der Nationalrat debattierte 1972 sogar über ein Verbot des Begriffs Bio. Es fehlte der wissenschaftliche Unterbau als Garant von Seriosität. Das FIBL hat diesen wissenschaftlichen Unterbau erarbeitet und Bio so zum Erfolg geführt. Dafür gebührt dem FIBL-Team ein grosser Dank. Die Arbeit des FIBL brachte indirekt die anderen Forschungsanstalten dazu, ebenfalls biologische Forschung zu betreiben So strotzt der Jahresbericht 2012 von Agroscop- Schweiz von Beispielen, wie die konventionellen Forschungsbetriebe sehr viele Forschungsprojekte bearbeiten, die auch dem Biolandbau weiter helfen, obwohl mit diesen Projekten weniger die Ursachen angegangen werden, als die Bekämpfung von Symptomen biologisch perfektioniert wird. Eigentlich könnte doch alles auf bestem Weg sein, wenn nicht der Urgedanke des Biolandbau unbeabsichtigt dem Urbedürfnis der Wissenschaft langsam aber sicher immer stärker weichen würde. Wo liegt denn der Unterschied dieser verschiedenen Urbedürfnisse? Sich in die Lebensprozesse des Bodens, der Pflanzen und Tiere hineinfühlen, und daraus die Ursachen von Störungen erkennen und beheben auf der einen Seite. Krankheiten und Schädlinge ausrotten und im Sinne der „Perfektions – Landwirtschaft alles berechenbar und beweisbar zu machen, auf der anderen Seite. Zwei verschiedene Welten die sich von einander weg entwickeln, wenn der Dialog nicht bewusst gesucht wird.
Biolandbau war am Anfang so schwer verständlich, weil so viel nicht Messbares behauptet wurde. Das „Sich einfühlen“ in die unkontrollierbaren Prozesse der Natur wurde von den neuen Lehren zurück gedrängt. Das so leicht berechenbare Nährstoff Entzugsprinzip von J.v. Liebig und später die systemisch wirkenden Pestizide wirkten wie eine Erlösung, wie ein Licht ins Dunkel des Mittelalters. Wer will es da den jungen Wissenschaftern verargen, dass ihr starkes Bestreben, auch im Biolandbau, darin bestand nur zu akzeptieren, was mit den gängigen wissenschaftlichen Parametern gemessen und beliebig reproduzierbar bewiesen werden kann. Zwar wurde, vor allem im FIBL, aber auch bei Agroscop, mit Bäuerinnen und Bauern zusammengearbeitet, aber am liebsten mit jenen, die das gleiche Bedürfnis hatten. Ein Hinterfragen dieser Entwicklung wurde nicht so sehr geschätzt. Der Wunsch nach dem Bioland Schweiz hat dann auch zu einer weiteren Anpassung auch an moderne Ernährungsgewohnheiten und Vorstellungen der Nahrungsmittelindustrie geführt. Was in den 30er Jahren noch als ungesund taxiert wurde, wie Zucker, zu viel Fleisch, oder zu hoch erhitzen, wurde als normal betrachtet. Bezeichnend hat ein neuer Biobauer in der konventionellen Zeitschrift der Fenaco, der UFA-Revue geschrieben: „Ich habe nur wegen dem höheren Milchpreis auf Bio umgestellt. Im Denken bin ich normal geblieben“.
Immer öfter werde ich aber auf der Strasse von Leuten angesprochen, die mir von neuen Büchern über Gesundheit erzählen. Bücher wie „ Die Weizenwampe“, oder “Krebszellen mögen Himbeeren nicht“. Was sagt denn Bio dazu, werde ich gefragt, denn soeben kamen Bio Pomme-Chips neu auf den Markt. Und dass auch Bioweizen die überhöhten Glutengehalte aufweisen muss bleibt kritischen Lesern natürlich nicht verborgen, und stösst sauer auf.
Meine Antwort: „Institutionen sind vor Schwachstellen nicht zum Vornherein gefeit. Sie müssen den Weg zwischen Anpassung und eigenem klaren Kurs oft hart erarbeiten. Ich traue der Biobewegung zu, mit der Zeit zu erkennen, wo sie sich anpassen muss, und wo sie dank ihrem ganzheitlichen Verständnis, fatale Umwege der offiziellen Forschung, Agrar- und Ernährungslehre aber auch der Bestimmung von Bundesbehörden nicht mit machen sollte.
Dass das Zeit und Kraft braucht hat Max Blank wie folgt umschrieben: „ Wissenschaftliche Fehlentscheide überdauern gewöhnlich zwei Generationen, weil erst die dritte Generation genügend Kraft und Unabhängigkeit hat, die gängige Lehre zu hinterfragen. Natürlich macht auch die praktische Landwirtschaft ihre Umwege z. B. in der Hochleistungsviehzucht, der Massentierhaltung und den immer schwereren Maschinen. Zwei Generationen haben die Erkenntnisse der Forscher Änelt und Hahn, über die verheerende Wirkung von leicht löslichem Stickstoff auf Gesundheit und Fruchtbarkeit ignoriert. Die heute aktive dritte Generation erlebt das Eintreffen jener Prophezeiungen und wird daraus die Kraft nehmen die fatalen Umwege zu verlassen. Wenn Wissenschaft und Praxis wie bei einem Zweispänner Pferdegespann gleich verpflichtet, aber auch gleich berechtigt am Fortschrittskarren ziehen, können Fehlentscheide, welche nur infolge von zu enger Sicht, oder zu kurzfristiger Gewinnmaximierung entstehen vielleicht besser verhindert, sicher aber früher erkannt werden. Für die nächsten 40 Jahre FIBL wünsche ich den Wissenschaftern wie den Bauern den Weg gemeinsam, auch mit unangenehmen Fragern zu gehen, und neben der Intelligenz des Hirn auch das „Bauchgefühl“ des Herzens mit in ihre Strategie ein zu beziehen. Dann erinnert man sich vielleicht daran, dass J.v. Liebig seine Nährstofftheorie selber widerrufen hat, Louis Pasteur vor zu umfassender Pasteurisation und Sterilisation gewarnt hat, und Dr. Müller, und Dr. H.P. Ruschs Begriffe des „Kreislaufs der lebenden Substanz und der Lebenskraft in Lebensmitteln“ mit der Photonentheorie von Fritz Albert Popp ein neues Gewicht bekommen haben. Es ist nicht die Frage, ob Landwirtschaft und Ernährung wieder ganzheitlicher beforscht werden oder nicht. Es ist nur die Frage, ob die derzeitige Bioszene den Mut dazu aufbringt, oder ob sie erst reagiert, wenn sie von anderer Seite in Zugzwang gesetzt wird.
Tann, 5. Juli 2013 Ernst Frischknecht

