Haben wir eine Strategie?
Zur Umsetzung einer Vision entwickelt man eine Strategie, mit der man das Ziel erreichen will. Zwischenziele, Verantwortlichkeiten und ein Aktionsplan vervollständigen die toolbox eines Unternehmers. Der Bauer sei Unternehmer, die Verarbeiter und Verteiler sind es sowieso und viele der Konsumenten auch. Also ist es naheliegend, dass die bewährten Instrumente (1) für die Ernährungsstrategie eingesetzt werden.
Der folgende Artikel basiert auf einem Editorial, das Mathias Stalder für die Zeitung Vision 2035 (2) geschrieben hat und auf umfangreichen Informationen von Philipp Stierand, der sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigt (3).

Die Stadt ernähren
Früher wurden unsere Lebensmittel vor allem um den Kirchturm angebaut. Heute finden wir in den Auslagen der Supermärkte Gemüse und Früchte aus allen Teilen dieser Erde: Spargeln aus Mexiko, Frühkartoffeln aus Israel, Erdbeeren aus Griechenland oder Peperoni aus Spanien. Sie legen mehr Kilometer zurück als wir selbst und sind im Preis günstiger als hiesiges. Die enormen ökologischen Schäden von Pestizideinsatz und Düngemittel, der Ressourcenverbrauch, die Wasserverknappung, die Gesundheitsschäden der ArbeiterInnen und KonsumentInnen nicht eingerechnet. Nicht zu vergessen die miserablen, oft sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen auf den Feldern. Ist billig letztendlich nicht zu teuer?
Räumen Sie bitte ihren Kühlschrank und die Vorratskammer aus und breiten alle Lebensmittel auf dem Tisch aus. Nun legen Sie nur die Lebensmittel zurück, die aus regionaler Landwirtschaft und Produktion kommen. Solche, bei denen Sie mit guten Gewissen sagen können von wem, wo und unter welchen Konditionen diese produziert worden sind. Einverstanden, es besteht ein wachsendes Bedürfnis nach transparenten, nachhaltigen und regionalen Wirtschaftskreisläufen. Die persönliche Bilanz fällt möglicherweise dann doch mager aus.
Gut zu wissen woher das Gemüse stammt: Die Kartoffeln vom Twannberg, die Berner Rose von Oberwil bei Büren, der Rucola vom Ried, der Kohl aus Bibern, frisch geerntet und reif im Geschmack. Regionale, saisonale und wenn Sie wünschen biologische Lebensmittel. Ich bin überzeugt, dass wir wie bei der Energieversorgung auf lokale nachhaltige Versorgung setzen können. Biel hat dafür die besten Voraussetzungen, liegt die Stadt doch im grössten, zusammenhängenden Gemüseanbaugebiet der Schweiz.
Wie verwandelt man passive Nutzer in eine in Ernährungsfragen aktive Stadt?
Können wir Erzeugung, Verarbeitung, Vertrieb, Konsum und Entsorgung so unter einer nachhaltigen Vision vereinen, dass sie eine Verbesserung der sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen und gesundheitlichen Lebensumstände nach sich ziehen?
Ernährung in der Stadt braucht Strategie
Und zwar eine Strategie mit allem, was dazu gehört, damit alle, die dazu gehören eingebunden werden können. Je mehr Betroffene bei der Entwicklung des Leitbildes eingebunden sind, je realistischer wird die Strategie und je einfacher deren Umsetzung. Denn spätestens bei der Analyse des Ist-Zustandes setzt der Lernprozess ein und was zuerst als es-wäre-schön-wenn-Vision niedergeschrieben wurde wird zum klaren, definierbaren Ziel. Die Ernährungsstrategie gehört in die Entwicklungsstrategie der Stadt. D.h. nicht nur bestimmt der Ort die Ernährung, sondern die Ernährungsstrategie bestimmt auch die Entwicklung des Ortes (Gemeinde, Stadt, Region, Land, …) mit.
Auch wenn Ernährung ein zentrales Thema ist: Es braucht einen Katalysator, um die passiven Konsumenten in motivierte Ernährungsaktivisten zu verwandeln. Wie in der Wirtschaft müssen Verantwortlichkeiten aufgeteilt werden. Vielerorts hat sich das System mit Food Policy Councils (4), also Nahrungsmittel-Räten, bewährt. Zuerst als Vordenker, dann als Beratendes Organ um den Prozess zu coachen und Ernährungsthemen ein Forum und eine Handlungsebene zu geben.
Ein Beispiel: Vancouver an der Westküste Kanadas ist seit 10 Jahren aktiv in Sachen Ernährungspolitik. Damals beschloss der Stadtrat, dass die Metropole ein gerechtes und nachhaltiges Ernährungssystem braucht. Nach der Etablierung eines Ernährungsrates 2004 und der Food Charter von 2007 war die Verabschiedung der Food Strategy Ende Januar 2013 ein weiterer Meilenstein auf diesem Weg.
Schon in den 1980er Jahren haben sich in den USA die ersten Food Policy Councils gegründet, mittlerweile sind sie in vielen Städten und Bundesstaaten Nordamerikas etabliert. Auch in Großbritannien gibt es einige Beispiele für solche Councils, im britischen Englisch als Food Partnerships bezeichnet. Die Organisation Food First hat im Dezember 2009 mit „Food Policy Councils: Lessons Learned“ (5) eine umfangreiche Bestandsaufnahme der US-amerikanischen Councils auf State-, County- und lokaler Ebene vorgelegt.
Ernährungsstrategien haben das Potential, kleine Gemeinschaftsgartenprojekte, Foodcoops und Vertragslandwirtschaften aus dem peripheren Dasein ins Zentrum städtischer Entwicklung zu katapultieren.
Ein Riesenpotential liegt in den Krippen, Schulen und städtischen Heimen. In der Stadt Biel zum Beispiel fordert eine städtische Initiative eine regionale und möglichst biologische Versorgung in Krippen, Heimen und Schulmensen. Die schwedische Stadt Malmö macht es vor. Sie will die 50’000 täglichen Gratismahlzeiten in den Schulen und Vorschulen bis ins Jahr 2020 auf 100% biologisch umstellen.
Ernährungsstrategie und Agrarstrategie gehören zusammen
Mit Artikel 104 hat die Schweiz in ihrer Bundesverfassung bereits ein Leitbild für ihre Landwirtschaft. Die Initiative für Ernährungssouveränität ergänzt dieses Leitbild mit einem Abschnitt 104c zur Ernährung – damit wir souverän bestimmen können, was auf unsere Felder, in unsere Geschäfte und auf unsere Teller kommt und was nicht.
Falls Ihr euch für die Initiative für Ernährungssouveränität engagieren möchtet, schreibt kurz an Mathias Stalder.

Mehr zum Thema, weiterführende Links / zur Vertiefung:
- New York, London, Vancouver machen es vor. Aber was sind Ernährungsstrategien? Zum Artikel >>>
- Ein sehr gelungenes Beispiel von Urban Gardening in der Kleinstadt Todmorden stellt Pam Warhurst im Ted-Talk vor. >>>
- Speiseräume – Die Ernährungswende beginnt in der Stadt, Buch von Philipp Stierand, 2014 >>>
- Philipp Stierands Blog speiseraeume.de >>>
- Mark Winnes Food Policy Blog >>>
- Mehr Informationen zum Urzeit-Code findet ihr hier >>>
- Die Initiative fuer-gesunde-ernaehrung.ch in Biel ist hier >>>
- Und vielleicht habt ihr auch Lust den folgenden Artikel zu lesen und mehr darüber zu erfahren, warum die Grüne Revolution ein totaler Misserfolg war >>>
- Auf dieser Facebook-Seite findet ihr auch aktuelle Meldungen, Artikel und Videos rund um das Thema Ernährungssouveränität >>>


