Als Kleinbäuerin in der Schweiz interessieren mich natürlich internationale Bestrebungen, um die Landwirtschaft zu verbessern. Heute ist ein Begriff in aller Munde, die Agrarökologie soll es richten.
Nichts Neues
Ich möchte hier vorausschicken, dass Agrarökologie ein neuer Name, ein neues Etikett für eine bäuerliche Praxis ist, die es schon immer gab und hoffentlich auch immer geben wird. Agrarökologische und damit bäuerliche Praktiken sind wichtig und waren schon immer wichtig. Sie stellen die Menschen, die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und die Herstellung gesunder Lebensmittel für die Region in den Vordergrund. Sie sind Garant dafür, dass keine Überschüsse entstehen und vermeiden damit Foodwaste. Sie fokussieren auf eine Produktion in der Region für die Region und vermeiden damit lange Transportwege und die Verschleuderung von Energie. Um die Klimaziele und die Sustainable Development Goals SDGs zu erreichen, braucht es ein Umdenken. Weg vom Grössenwahn hin zur Nachhaltigkeit – Agrarökologische Praktiken sind der Weg dorthin.
Lange Geschichte
Meine Erfahrungen als Kleinbäuerin und als Repräsentantin von Uniterre und La Via Campesina (LVC) sind zweischneidig. Auf der einen Seite gibt es die Vereinbarung zur Zusammenarbeit mit der FAO und La Via Campesina aus dem Jahr 2013, welche sehr viel Schwung und Austausch zum Thema Agrarökologie auf der internationalen Bühne gebracht hat. Diese Vereinbarung anerkennt die wichtige Rolle der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern weltweit, im Wissen, dass sie bei der Hungerbekämpfung die Hauptrolle spielen. Und auf der anderen Seite werden Kleinbäuerinnen und Kleinbauern von der Industrialisierung überrollt, häufig strukturell benachteiligt und verdrängt.
Im Jahr 2014 nahmen verschiedene Mitgliederorganisationen von LVC, so auch Uniterre, an einem internationalen Grundtvig-Projekt zur Agrarökologie teil. Dieses Projekt war von La Via Campesina lanciert worden. Seminare auf der Basis der Wissensvermittlung von Bäuerin/Bauer zu Bäuerin/Bauer fanden in ganz Europa statt. Damals entstand auch eine Gruppe in der Schweiz, die sich gegenseitig unterstützt. Die Homepage von Uniterre stellt den TeilnehmerInnen ein Plattform (4*) zur Verfügung. Auch im Jahr 2014 entstand die Erklärung von Evenstad, Norwegen, die von alle Mitglieder der Europäischen Koordination von La Via Campesina erarbeitet und verabschiedet wurde.
Die Erklärung von Evenstad (2014)
Sie ist ein wichtiger Grundstein für das bäuerliche Verständnis von Agrarökologie. (Erklärung leicht gekürzt)
Mit diesem Dokument soll das Konzept der Agrarökologie so definiert werden, wie es von den Bäuerinnen und Bauern der Europäischen Koordination von Via Campesina verstanden wird. Wir sind Erzeugerinnen und Erzeuger von Lebensmitteln und betrachten Agrarökologie als eine Lebensweise, eine Art und Weise mit unserem Umfeld zu interagieren. Ausserdem ist es unser Weg um in Richtung Ernährungssouveränität voran zu kommen.
Wir sehen Agrarökologie als einen Prozess individuellen als auch gemeinschaftlichen Wandels, der weit über agrarökologische Methoden und Verfahren hinausgeht. Wir haben uns dazu verschrieben diesen Weg gemeinsam zu gehen und keinen zurückzulassen.
Agrarökologie bedingt einen allumfassenden Blick, mit dem Vorgänge und Praktiken an lokale Bedingungen angepasst werden, auf allen Ebenen. Dieses Konzept beeinflusst und verändert alle Lebensbereiche. Sechs grundlegende Prinzipien:
Gefühle
Bäuerliche Empfindung ist ein unentbehrlicher Teil der Agrarökologie. Sie basiert auf Bewusstsein, Liebe und Respekt für die Erde, Gemeingut, Natur und alle Formen des Lebens.
Vielfalt und Biodiversität
Agrarökologie begünstigt Biodiversität im Sinne von Harmonie und Synergie zwischen verschiedenen Systemen: natürlichen, gesellschaftlichen wie auch kulturellen. Agrarökologie unterstützt landwirtschaftliche Ökosysteme und stellt ihren Erhalt sicher, indem diese vor allem hinsichtlich ihrer lokalen Vielfalt und wechselwirkender Systeme betrachtet werden.
Bäuerliches Wissen
Agrarökologie schützt, vermittelt und bündelt traditionelles, bäuerliches Wissen in seinen vielfältigen Zusammenhängen und tatsächlichen Gegebenheiten. Die Überlieferung von Generation zu Generation als auch dessen Austausch zwischen den Landwirten untereinander wird gestärkt. Agrarökologie begünstigt Innovation durch Beobachtung, Kreativität und beständigem Lernen und liefert die Mittel, um neue Herausforderungen zu bewältigen.
Gemeinschaft
Agrarökologie nährt Vertrauen und Zusammenwirken zwischen Gemeinschaften, ob gross oder klein, ländlich oder städtisch. Agrarökologie führt zwangsläufig zu einem Wertewandel, vom Individualismus zum Miteinander, soziale Gleichheit und Gemeinschaftssinn werden höher gewichtet.
Wir versichern die Notwendigkeit einer gegenseitigen Anerkennung von Bäuerinnen und Bauern und der Gesellschaft, ebenso wie der Achtung unserer Würde als Bearbeiterinnen und Bearbeiter des Landes.
Bäuerliche Rechte
Unsere bäuerlichen Rechte wie das Recht auf Zugang zu Saatgut, Land und Wasser und zu den Gemeingütern gehören zu den Voraussetzungen für Agrarökologie.
Agrarökologie ist ein Mittel um Macht zu dezentralisieren und die bäuerliche Unabhängigkeit wieder herzustellen.
Das agrarökologische Modell achtet lokale Landwirtschaft überall, in allen Gemeinden, da es auf Solidarität und Zusammenwirken zwischen allen Regionen und allen Bäuerinnen und Bauern basiert. Agrarökologie kühlt den Planeten und trägt positiv zum Kampf gegen den Klimawandel bei.
Kampf und sozialer Wandel
Wir brauchen die bäuerliche Landwirtschaft, um unsere Basis zu stärken und unsere politische Agenda voranzubringen. Neben allem bäuerlichen Ringen, ist Agrarökologie rechtmässiger täglicher Widerstand in unserem Kampf für Ernährungssouveränität.
Wir lassen uns nicht spalten. Unsere Landwirtschaft hat viele Gesichter aber nur ein Herz, die bäuerliche Landwirtschaft! Evenstad, Norwegen, im März 2014
nach obenEvenstad - eine Herzensangelegenheit
Das Treffen in Evenstad, bei welchem die obige Erklärung entstand, war weit mehr als nur das Zusammentragen von bäuerlichem Wissen, sondern eine weitreichende solidarische Übereinkunft.
Das Herz und unsere Gefühle bringen eine Bewegung weiter. Wer nicht mehr mit der Natur geht, wer keine Beziehung mehr zum Boden, zur Pflanze, oder am Schluss zum Nahrungsmittel hat, der wird sich nicht kümmern.
Agrarökologie heisst aber sich kümmern. Es geht nicht einzig um eine nachhaltige Herstellung von Lebensmitteln, sondern es geht um Sorgsamkeit in allen Lebensbereichen. Das hat meiner Meinung nach die Wissenschaft ausgeblendet. So scheint mir der „Boom rund ums Thema Agrarökologie“ häufig mehr ein Selbstzweck der Institutionen zu sein, als der Wille zum radikalen Wandel.
nach obenAgrarökologie ist kein Konzept
Agrarökologie ist kein Konzept, sondern ist einen Prozess individuellen als auch gemeinschaftlichen Wandels, der weit über agrarökologische Methoden und Verfahren hinausgeht.
Heute, im Jahr 2019 kann Agrarökologie an den Universitäten und Hochschulen studiert werden, es gibt ExpertInnen und Gremien, die das Thema bewirtschaften und es werden Bücher darüber geschrieben. Es wird um die Deutungshoheit gerungen, es werden Konzepte erstellt und darüber gestritten, was Agrarökologie nun wirklich ist. Das haben wir vorausgesehen, wir wussten, dass alles unternommen werden würde, um das Wissen zu einem Konzept zu degradieren und es zu akademisieren. Wir wussten es damals schon und wir haben es hingenommen, denn wir haben wenig oder keinen Zutritt zu den akademischen Zirkeln. Wir haben es hingenommen und versucht unseren Einfluss auf anderen Ebenen, z.B. direkt über die FAO, oder mit unserer Initiative für Ernährungssouveränität, geltend zu machen. Und es ist uns lieber, dass über Agrarökologie redet wird, als dass z.B. Gentechnik ungebremst vorangetrieben wird.
nach obenAgrarökologie ist eine Lebensweise
Aus der Rede von von Mariam Sou, Pionierin der agroökologischen Landwirtin, aus ENDA-Tiers Monde, Senegal. Rom, 5. April 2018, Zweites Internationales Symposium für Agrarökologie der FAO (übersetzt um)
„ Agrarökologie bedeutet, dass unsere Rechte als Frauen geschützt und verwirklicht werden, nicht nur als Mütter und Betreuerinnen unserer Häuser. Agrarökologie bedeutet, dass wir uneingeschränkt am sozialen und politischen Leben unserer Gemeinschaften teilnehmen und unseren Zugang zu Land, Wasser, Saatgut und Produktionsmitteln mit Autonomie und Freiheit sicherstellen. Unsere gleichberechtigte Beteiligung an Entscheidungsräumen ist unerlässlich.
Unsere Völker und Organisationen haben ihr Wissen durch kollektive Bildung und Allianzen, durch den Dialog von Wissen zwischen verschiedenen Sektoren und Generationen erweitert und vertieft.
Für uns bedeutet die Ausweitung der Agrarökologie, dass immer mehr kleine Produzenten vorankommen. Zentraler Bestandteil ist die soziale Organisation in unseren Gebieten. Das heisst wir brauchen unsere eigenen Prozesse, unsere eigenen Organisationen von ProduzentInnen, ArbeitnehmerInnen und VerbraucherInnen, von Frauen und Männern, die das soziale, politische, wirtschaftliche und kulturelle Gefüge aufbauen.
Nur so können wir, bei der Transformation eines gescheiterten und schädlichen industriellen Agrar- und Ernährungssystems, das die Umwelt und die Gesundheit unserer Völker schädigt, Schritte in die richtige Richtung tun.“
nach obenDie Übereinkommen gibt es schon*. Aufforderung zur Umsetzung.
Aus der Rede von von Mariam Sou, Pionierin der agroökologischen Landwirtin, aus ENDA-Tiers Monde, Senegal. Rom, 5. April 2018, Zweites Internationales Symposium für Agrarökologie der FAO (übersetzt um)
„Wir begrüssen, dass dieses Symposium bei der Anerkennung und Förderung der Agrarökologie einen Schritt vorangekommen ist. Angesichts der Dringlichkeit, die durch Asymmetrien, langwierige Krisen, Landnahme, Konflikte, Besatzungen und Kriege sowie die alarmierende Welle der Kriminalisierung und gewaltsamen Unterdrückung von Verteidigern von Gebieten und Kleinbäuerinnen und Kleinbauern hervorgerufen wird, fordern wir die Umsetzung von Menschenrechtsprozessen, dem Eckpfeiler der Vereinten Nationen und insbesondere der FAO, unter anderem unter Berufung auf das Recht auf Nahrung, die Tenure Guidelines, die Small-Scale Fisheries Guidelines, das ILO-Übereinkommen 169, die Free Prior and Informed Consultation, das CEDAW und seine Allgemeine Empfehlung 34 sowie den Prozess der UN-Erklärung über die Rechte von Bauern und Bäuerinnen und anderen in ländlichen Gebieten tätigen Personen.“
nach obenAgrarökologie - heisst Vereinbarkeit von Land, Wirtschaft und Ökologie
Das wäre machbar – nicht einfach – aber ein erkennbares Ziel, wäre da nicht der Hammer, genannt „Wirtschaftswachstum“. Dieser Hammer hängt über allen Bäuerinnen und Bauern dieser Welt – nein, er hängt über allen Menschen dieser Welt. Da Wirtschaftswachstum der einzige Gott – oder Götze– ist, an den die meisten aller Regierungen glauben, können wir nur hoffen, dass Agrarökologie zum kleinen Stein im Getriebe dieser tödlichen globalen Maschinerie wird.
* Existierende Übereinkommen:


