Bundesrat Johann N. Schneider-Ammann lud am 30.8.11 zu einer Politischen Plattform mit Österreich zum Thema «Landwirtschaft in den Alpenländern – erfolgreich und nachhaltig». 2 Tage danach eröffnete er in Konolfingen für Nestlé eine Produktionsstätte wo er versicherte, dass er alles daran setzen werde, um die heute geltenden Rahmenbedingungen namentlich auch für die exportierende Schweizer Nahrungsmittelindustrie aufrecht zu erhalten oder weiter zu verbessern. …”. (Nestlé produziert mit Nespresso den grössten schweizerischen Lebensmittelexportschlager.)
Der erste Text ist eine Kopie des offiziell vom Bundesrat an die Presse vorgängig verteilten Referats, am Ende dieses “Beitrags” finden Sie den Bezug zur Agrarindustrie, den Herr Bundesrat bei Nestlé gemacht hat.
Sehr geehrter Herr Minister Berlakovich
, Sehr geehrter Herr Vizepräsident,
Sehr geehrte Ständerätinnen und Ständeräte,
Sehr geehrte Nationalrätinnen und Nationalräte
, Sehr geehrte Damen und Herren
Zwei Dinge möchte ich vorab festhalten:
Erstens, wir können stolz sein auf unsere Landwirtschaft und darauf, was sie in den letzten Jahren geleistet hat. Das sag ich nicht nur, weil ich Landwirtschaftsminister bin. Unsere Landwirtschaft trägt viel zur guten Lebensqualität bei, die wir hier in der Schweiz geniessen.
Wir konnten in den letzten Jahren die Nachhaltigkeit in allen drei Dimensionen steigern:
- Wir produzieren ökologischer.
- Wir sind wettbewerbsfähiger und zugleich sind die Einkommen in der Landwirtschaft im gleichen Rhythmus gestiegen wie die übrigen Einkommen.
- Die Bäuerinnen und Bauern haben sich ständig an neue Situationen angepasst und auf Veränderungen reagiert.
Wie wir es von meinem Ministerkollegen Nikolaus Berlakovich gehört haben, haben auch unsere österreichischen Nachbarn grosse Anpassungen vorgenommen seit dem Jahr 1995: Seit ihrem EU-Beitritt hat sich die österreichische Landwirtschaft erfolgreich dem offeneren Markt angepasst.
Zweitens, auch wenn die Schweizer Landwirtschaft viel geleistet hat in den letzten Jahren, wir können und wollen uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen. Unsere Agrarpolitik kann nicht stillstehen, auch wenn sich das gegenwärtig gewisse Kreise wünschen. Diese fordern, bereits abgeschaffte Instrumente der Agrarpolitik wieder einzuführen. Die guten Gründe für ihre Abschaffung werden einfach ausgeblendet. Überholte Bilder der Landwirtschaft werden hochstilisiert, um neuere Entwicklungen zu kritisieren und einen verstärkten Schutz der Landwirtschaft zu verlangen.
Ich sage es hier deutlich: Die ,früher war alles besser”-Mentalität hilft niemandem. Tradition und Kultur sind wichtig, Authentizität und Handwerk sind einer der Erfolgsfaktoren der Schweizer Wirtschaft, gerade der Land- und Ernährungswirtschaft. Die Schweiz zeichnet sich aber dadurch aus, dass sie diese Traditionen und das Handwerk immer wieder mit Innovationen verbinden konnte.
Ich als Schweizer Landwirtschaftsminister frage mich: Wie haben es die Österreicher geschafft, sich erfolgreich im europäischen Agrarmarkt zu behaupten – und das ohne Grenzschutz? So ist heute ihr Käseexport über drei Mal so hoch wie beim EU-Beitritt 1995. Ein Grund für ihren Erfolg ist sicher die Diversifizierung: Jedes siebte Gästebett in Österreich befindet sich auf einem Bauernhof. Und der Anteil der Nebenerwerbsbetriebe in Österreich ist doppelt so hoch wie bei uns.
Lassen Sie mich auf zwei Punkte etwas näher eingehen:
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Was sind die Herausforderungen für die Schweizer Landwirtschaft
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Was können wir von unseren österreichischen Kollegen lernen?
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Herausforderungen der Zukunft
Kürzlich habe ich ein Zitat von Gerd Sonnleitner, dem Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes, gelesen: ,Landwirtschaft ist was für ganz Mutige, für die, die die Herausforderung lieben, eigentlich für die Starken in unserer Gesellschaft.”
Ich stimme ihm zu. Es gibt vielfältige Herausforderungen auch auf globaler Ebene, die Einfluss auf unsere Landwirtschaft haben:
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Die Bevölkerung wächst.
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Der Boden und viele Rohstoffe sind begrenzt.
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Das Klima ändert sich.
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Der globale Wettbewerb steigt.
Dieses Umfeld ist auf mutige Landwirte angewiesen. Ich weiss, in der Schweiz wie in Österreich haben wir diese Landwirte, die mutig und stark sind und sich den Herausforderungen stellen. Mit der Agrarpolitik 2014-2017, dem in Vorbereitung stehenden Reformpaket für die Schweizerische Landwirtschaft, will der Bundesrat die Landwirte zielgerichtet unterstützen. Damit lassen sich die anstehenden Herausforderungen besser meistern.
Auf folgende vier Punkte der AP 14-17 will ich näher eingehen:
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Die Versorgungssicherheit erhalten: Wir wollen den Selbstversorgungsgrad der Schweiz auf dem heutigen Stand halten. Dies ist auch bei wachsender Bevölkerung möglich, wie uns die letzten Jahre gezeigt haben: Die Produktion wurde gesteigert, gleichzeitig wurde die Umwelt geschont. Ein wichtiger Aspekt der Versorgungssicherheit ist, das Kulturland zu schützen.
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Die Ressourceneffizienz verbessern: Produktion und Ökologie sind kein Widerspruch. Wir wollen und können beide gleichzeitig verbessern, indem wir mehr Output pro Input erzielen. Das haben die Schweizer Landwirte in den letzten Jahren bereits erfolgreich getan. Wir verfolgen diesen Weg konsequent weiter.
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Wettbewerbsfähigkeit und Unternehmertum steigern: Die Schweizer Produzentenpreise sind – unter anderem aufgrund des Grenzschutzes – im internationalen Vergleich immer noch hoch. Das bekommen wir im Moment mit unserem starken Franken besonders zu spüren. Wir müssen deshalb die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Ernährungskette weiter verbessern. Und wenn ich Wettbewerbsfähigkeit sage, dann meine ich nicht einfach billig, sondern ein vernünftiges und marktfähiges Preis-Leistungs-Verhältnis. Der Markt ist vielfältig. Das heisst: Einerseits müssen die vorhanden Kostensenkungspotenziale genutzt werden – ein Blick zu unseren österreichischen Kollegen gibt uns hier sicherlich Anregungen. Maschinenringe gibt es beispielsweise auch in der Schweiz – in Österreich jedoch wird über die Hälfte der Fläche von Maschinenringmitgliedern bewirtschaftet. Andererseits muss die Inwertsetzung der hohen Schweizer Qualität weiter verbessert werden. In diesem Zusammenhang möchte ich auch das Unternehmertum ansprechen. Die Bauern sind Unternehmer und verstehen sich als solche. Als Unternehmer ist es ihre Aufgabe, zukünftige Entwicklungen zu spüren und für ihre Betriebe geeignete Strategien zu definieren. Um die angesprochenen Herausforderungen zu meistern, braucht es in der Land- und Ernährungswirtschaft verstärkt unternehmerisches Denken und Handeln.
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Den ländlichen Raum entwickeln: Die Schweiz besteht nicht nur aus Städten und Agglomerationen. Sie definiert sich auch durch die dezentrale Besiedelung. Die Weiden bis in weite Höhen machen das Landschaftsbild aus. Davon lebt insbesondere der Tourismus in diesen Regionen. Die Akteure im ländlichen Raum, namentlich im Berggebiet, profitieren voneinander. Eine echte Partnerschaft zwischen ihnen ist aber noch zu wenig spürbar. Die Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft, Tourismus, lokalem Gewerbe und auch Energie- und Forstwirtschaft müssen wir noch ausbauen. Vielleicht kommt Ihnen, verehrte Gäste aus Österreich, diese noch ungenügende Kooperation bekannt vor. Schliesslich befinden sich unsere beiden Alpenländer in sehr ähnlichen Positionen.
Ich habe nur einige Punkte genannt und sage es noch einmal: Die Herausforderungen für die Landwirtschaft sind zahlreich. Und wir werden uns anstrengen müssen, um ihnen zu begegnen. Die Vorlage AP 14-17 soll allen Herausforderungen gleichermassen Rechnung tragen. Eine nicht ganz leichte Aufgabe, wie Sie sich vorstellen können.
Die Österreicher machen es vor: Selbstvertrauen statt Schutz
Meine Damen und Herren, das Erfolgsrezept der Schweiz ist ihre offene Volkswirtschaft. Unsere Industrie und unsere Dienstleistungen zeichnen sich durch ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis aus. Mit anderen Worten: Schweizer Qualität hat einen Wert, der auch bezahlt wird. Der momentan starke Franken macht die Situation schwierig, ändert aber an diesem Grundsatz nichts. Das gilt auch für die Landwirtschaft. Unsere Bauern produzieren hohe Qualität und das ökologisch nachhaltig. Qualitätsführerschaft ist kein Lippenbekenntnis, sondern die Philosophie der Schweizer Landwirte. Aufgrund des hohen Grenzschutzes fehlt der Landwirtschaft aber die Erfahrung, und vielleicht auch das Selbstvertrauen, diese hohe Qualität zu verkaufen und in Wert zu setzen.
Wenn ich meine österreichischen Kollegen betrachte, stelle ich fest, ihre Exportinitiative zeigt Selbstvertrauen: Sie beinhaltet z.Bsp. Aktionen in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in China und den USA. Und sie gibt Ihnen Recht: So war kürzlich zu vernehmen, dass der Agrarexport Österreichs anfangs 2011 um 20% gesteigert werden konnte und damit auf ein Allzeithoch zusteuert.
Ich wäre bereit, solche Export-Aktionen auch für die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft zu unterstützen. Aber verlangen Sie nicht von mir, dass ich Ihnen die Zielländer vorgebe. Darauf müssen Sie sich selber einigen!
Das führt mich zum Stichwort Qualitätsstrategie. Diese will die Schweizer Qualität weiterentwickeln und erfolgreich auf den Markt zu bringen. An der Qualitätsstrategie wird momentan in der Branche intensiv gearbeitet. An dieser Stelle möchte ich mich für die Arbeit bedanken und gleichzeitig die Akteure ermutigen, weiter zu machen – und wenn nötig – noch mehr aufeinander zuzugehen. Wie wäre es zum Beispiel mit einer strengen Swissness-Regelung im Gegenzug zu offeneren Grenzen? Eine von allen Akteuren getragene Qualitätsstrategie dient der Sache: Das Produkt kommt beim Konsumenten an und ist gefragt. Glauben Sie mir, Erfolg verleiht Flügel. Und damit überflügeln wir auch unsere Konkurrenten…
Die Landwirte produzieren aber nicht nur Produkte für den Markt. Sie produzieren auch gemeinwirtschaftliche Güter wie z.Bsp. eine schöne Landschaft. Regelmässige Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung bereit ist, diese Leistungen zu entlöhnen. Und hier verfolgen wir eine ähnliche Strategie wie unsere österreichischen Kollegen: Sie fördern ökologische Leistungen und nachhaltige Bewirtschaftung wie kaum ein anderes EU-Land. In der AP 14-17 sollen deshalb die Mittel für die Landwirtschaft in gleicher Höhe erhalten bleiben.
Ich habe es am Anfang gesagt: Die Schweizer Landwirtschaft hat im Bereich Umwelt und Tierschutz bereits sehr viel erreicht. Wir wollen diese hervorragende Ausgangslage nutzen, um noch besser zu werden. Die Konkurrenz schläft nicht.
Die Schweizer Landwirtschaft macht vieles richtig. Zahlreiche Schweizer Bauern sind mutig, stark, innovativ und offen für Neues. Und wenn ich jetzt oft auf Österreich verwiesen habe, heisst das nicht, dass wir Österreich kopieren wollen. Nein, wir wollen uns inspirieren lassen, wir wollen lernen. Und vielleicht ergibt sich sogar die eine oder andere Möglichkeit, zusammenzuarbeiten. Ich denke laut: Vielleicht können wir ja Berg- und Alpenprodukte in den USA gemeinsam vermarkten – ich bin nicht sicher, ob die Amerikaner unsere Länder überhaupt zu unterscheiden vermögen…
Meine Damen und Herren: Stillstand ist Rückschritt. Veränderungen sind immer auch eine Chance – unsere österreichischen Freunde haben es uns vorgemacht.
Ich wünsche mir, dass der Pioniergeist unserer innovativen Bauern auf andere übergeht. Dies bildet die Grundlage, um die Schweizer Landwirtschaft erfolgreich weiterzuentwickeln.
(die Pressemitteilung endete mit dem Satz: Es gilt das gesprochene Wort !)
2 Tage später, am 1.Sept. 2011 war Bundesrat Schneider-Amman zur Eröffnung einer neuen Produktionsstätte von Nestlé eingeladen und versprach: “…Ich bin mir bewusst, unter welchen agrarpolitisch bedingten Rahmenbedingungen Unternehmen der Nahrungsmittelindustrie wie Nestlé in der Schweiz produzieren. Hinzu kommt die äusserst schwierige Situation mit dem starken Franken. Dies schwächt unsere Wettbewerbssituation beim Export entscheidend. Ich versichere Ihnen, dass ich alles daran setzen werde, um die heute geltenden Rahmenbedingungen namentlich auch für die exportierende Schweizer Nahrungsmittelindustrie aufrecht zu erhalten oder weiter zu verbessern. …”.
Nestlé produziert mit Nespresso den grössten schweizerischen Lebensmittelexportschlager.

