Veröffentlichung: 10.08.12; Aktualisierung: 22.04.14
von Hans Bieri, SVIL
Nicht nur die Landwirtschaft, die ganze Wirtschaft fusst auf zunehmendem Verbrauch fossiler Energie- und Hilfsstoffe, welche bisher das bekannte Wachstum ermöglicht haben.
Die Extraktion von Stoffen aus dem Boden und ihre Dissipation haben zahlreiche Umweltkonflikte hervorgerufen.
Bereits vor 100 Jahren haben im Bereich der Landwirtschaft Exponenten der nachfolgenden Biolandwirtschaft auf die Konflikte des zunehmenden Hilfsstoffeintrages auf die biologischen Kreisläufe bzw. auf die Landwirtschaftsböden, die Qualität der Lebensmittel und die Gesundheit der Bevölkerung hingewiesen – lange bevor die erste Umweltkonferenz von Rio stattgefunden hatte. Was ist aus diesen Denkansätzen geworden?
Die seit dem Club of Rome und die in den 80er Jahren immer intensiver geführte Wachs-tumsdiskussion zeigten, dass die Stoffwirtschaft generell gewissen Grenzen unterliegt, auch wenn der Abbau der nichterneuerbaren, also der fossilen Naturressourcen nicht durch biologische Kreisläufe unmittelbar beschränkt wird.(Die Beschränkung tritt dann erst z.B. bei der Auswirkung auf das Klima ein.) Die gegenläufigen Bemühungen der OECD, das Wachs-tum entgegen diesen retardierenden Signalen erneut voranzutreiben, haben lediglich neue Opfer gefordert. Von den erkannten Problemen ist keines gelöst. Aus pragmatisch/empirischer Sicht wurden lediglich der geographische Zugriff, die Abbaugeschwindigkeit und die Logistik optimiert. Die Beschränkung bleibt mit der Verlangsamung der Erschliessung neuer Abbauquellen dennoch sichtbar. Zu einem Umdenken führt sie offenbar nicht.
Die 80er Jahre zeichnen sich deshalb durch zwei völlig konträre Hauptmeinungen aus: Die Umweltbewegung verlangte eine deutliche Einschränkung des Eintrages fossiler Rohstoffe und der Folgeprodukte in die Lebensumwelt (Luft, Wasser, Bodenoberfläche). Andererseits verlangte die neoliberale Reform die Beseitigung zyklischer, rein an der Bedarfsdeckung orientierter Strukturen in der Versorgungswirtschaft zu Gunsten von mehr Wachstum. Denn ohne Wachstum, so die offizielle Meinung, kein Wohlstand, keine Sozialwerke, kein Weltfrieden. Eine Änderung der Wirtschaftsform an sich, welche den bestehenden Widerspruch zwischen Kapitalakkumulation und Bedarfsdeckung bei sinkendem Stoffdurchsatz lösen muss, wurde mit der aufwendig zelebrierten Beendigung des Experimentes des Staatskapitalismus bzw. der sozialistischen Gesellschaftsordnung mit der Auflösung der Sowjetunion für nicht mehr notwendig und als überholt, mit auf den Misthaufen der Geschichte geworfen.
An der ersten Umweltkonferenz von Rio 1992 blieb deshalb unter diesem Druck gar nichts anderes übrig als das, was bei allen wichtigen Friedensverhandlungen, welche von der Hegemonie bestimmt bleiben, zu beobachten ist: die zeitliche Dehnung des Konfliktes, um ihn unkenntlich zu machen. Rio 92 hat den Nachhaltigkeitsbegriff aufgeweicht. Rio +20 hat ihn aufgelöst. Die erste Etappe erfolgte im sogenannten Brundtlandbericht. Danach bedeutet Nachhaltigkeit nicht mehr die Pflicht, unter Einhaltung der Bedarfsdeckung den aktuell zu hohen Stoffdurchsatz zu senken, sondern ihn unter Rücksichtnahme auf die bestimmende Konjunktur weniger schnell als bisher anwachsen zu lassen.
An der heutigen Wirtschaftsordnung, in der das verlangte Wirtschaftswachstum ohne zunehmenden Eintrag von Naturstoffen in das Wirtschaftssystem nicht auskommt, hat sich bis heute nichts geändert: Die Umweltprobleme verschärfen sich als Folge dieses Zwanges.
Dabei wurde nicht nur der Nachhaltigkeitsbegriff verwässert, sondern zusätzlich wurde im Bereich des Welthandels in der damaligen Uruguay-Runde der 80er Jahre die Landwirtschaft neu einbezogen, was zu einer Zunahme des Hungers geführt hat. Bis heute hat es gedauert, bis unter den Agrarreformern sich auch eine Gegenmeinung im Weltagrarbericht bilden konnte, dass der Hunger nur bewältigt werden kann, wenn die angestammte Landwirtschaft der Entwicklungs- und Schwellenländer nicht weiter durch das internationale Agrarbusiness zerstört wird.
Die gleiche Widersprüchlichkeit zeigte sich weiter darin, dass auch die angestammte Landwirtschaft der EU mit dem Argument geschwächt wurde, sie konkurrenziere die Entwicklungsländer und sie verschmutze die Umwelt. Davon wenig beeindruckt subventioniert die USA ihre Landwirtschaft weit stärker als die EU. Und die Nahrungsmittellieferungen zu Dumpingpreisen in die Entwicklungsländer geschehen vor dem Hintergrund des profitierenden Weltagrarhandels und der unterbezahlten Landwirtschaft in den Industrieländern. In Anbetracht des heute nun deutlich sichtbaren Neokolonialismus und der klaren Absage an einen globalen Umweltschutz nehmen sich die damaligen Reformbehauptungen aus Agrarhandelskreisen Ende der 80er, anfangs der 90er Jahre lediglich wie ein schlechter Witz aus. Das Reformprogramm ist immer noch das gleiche: Auflösung nachhaltiger Versorgungsstrukturen, um sie einer wachsenden Kapitalverwertung zugänglich zu machen. Begründet wird dieses Vorgehen ebenfalls zweigleisig: einerseits mit den angeblich zu geringen Erträgen nachhaltiger Strukturen. Andererseits begründet man eine weitere Investitionsrunde im Bereich der Ernährungswirtschaft sogar mit Selbstkritik am Misserfolg des Kolonialismus, der ersten grünen Revolution,um dann auf die aktuelle Notwendigkeit überzuleiten, mit noch umfassenderen Mitteln als bisher den zunehmenden Welthunger zu besiegen.
In dem Masse, wie nun die Endlichkeit der nicht erneuerbaren Ressourcen deutlich wird, öffnet sich der Fokus auf die erneuerbaren Ressourcen.
Hatten und haben also die Vertreter der Biolandwirtschaft doch Recht? Muss die Wirtschaft sich zwangsläufig auf die biotischen Kreisläufe beschränken? Führt die Verknappung der nichterneuerbaren Ressourcen zur Besinnung auf die Regelkreise der Natur?
Ehemals war die Unterscheidung der Ressourcen in erneuerbare biotische und nichterneuerbare mineralische hilfreich, um zu zeigen, dass die angestammte Landwirtschaft innerhalb der Wachstumswirtschaft an Wachstums- und Erneuerungsprozesse der Natur gebunden ist, aber wenn sie dem industriellen Wachstum folgen will, zu den fossilen nichterneuerbaren Hilfsstoffen greifen muss. Heute wird deshalb von einer grossen Zukunft der Biolandwirtschaft gesprochen und in Bezug auf die Verknappung der nichterneuerbaren Rohstoffe sogar von einer grossen Zukunft der angestammten Landwirtschaft im Bereich der Rohstoffproduktion (biotische Energie und Rohstoffe).
Allerdings ist dieser Ordnungsversuch über diese rein formelle Unterscheidung kaum hinausgekommen. Ja, er ist sogar in Anbetracht der heute sich formierenden Bioökonomie obsolet geworden. Denn die Frage, welche sozialökonomischen Voraussetzungen zur Extraktion von Kohle und Erdöl geführt haben – welche ja genauso Natur abbauen und die Umwelt belastenund im Sinne der Umweltverträglichkeit reguliert werden müssen – fiel bei diesem Ansatz, zusammen mit der Nachhaltigkeitsfrage, unter den Tisch.
Mit Peak-Oil schien nun endlich jene Grenzerfahrung in Griffweite zu kommen, welche den Kurswechsel weg von der auf fossiler Energie basierenden Wachstums- und Verschleisswirtschaft zu einer wieder vermehrt auf biotischer Grundlage den Kreisläufen der Natur besser angepassten Wirtschaft erlaube: De-Karbonisierung der Wirtschaft als neues Schlagwort. Damit gelangte nun die gesamte Biosphäre, die Meere und die Naturgrundlage insgesamt, in den Fokus des zukünftigen Wirtschaftens der sogenannten Green Economy. Als Folge der Verknappung der nicht erneuerbaren Ressourcen öffnet sich der Fokus auf die Ausbeutungsmöglichkeit der Natur in ihrer globalen Ausfächerung mit steigendem Interesse an der Lifescience bzw. an der Bioökonomie und an der Natur insgesamt, als dem unerschöpflichen Füllhorn.
Quelle: UNEP, FAO, IMO, UNDP, IUCN, WorldFish Center, GRIDArendal, 2012, Green Economy in a Blue World
Mit Rio +20 erleben wir folgerichtig einen weiteren Ermüdungsbruch im Gebälk des Natur- und Umweltschutzes: nämlich die direkte Ökonomisierung der Natur in all ihrem unterschiedlichen Vorkommen durch die sogenannte Green Economy. Einerseits soll eine effizientere Nutzung der Naturressourcen die zusätzliche Versorgung von 3 Milliarden Menschen auf mittelständischem Niveau erlauben und andererseits soll die Natur durch Bepreisung einen Wert erhalten, der sie besser schützen soll. Nicht nur Holz kann genutzt und mit einem Preis verkauft werden, auch die Fähigkeit der Bindung von CO2 kann gehandelt werden. Wird diese Logik auf die gesamte Biosphäre angewendet, öffnet dies den Weg zu einer gewaltigen Monetarisierung der Natur, zusammen mit einer Eigentumsbildung und vollständigen Umgestaltung der Natur zur Ware mit Hilfe der Finanzmärkte. Ebenso sollen biologische Systeme in der sogenannten Bioökonomie weiterentwickelt und produktiver gemacht und Wertschöpfungsketten von der Natur bis zum Konsum, von der Ernährung bis zur Gesundheit durchorganisiert werden. Die Natur in ihrer Ganzheit und in ihrer gesamten Ausfächerung soll Gegenstand einer umfassenden synthetischen Biologie werden. Unter der Leitung der Energie-, Chemie-, Pharma- und Nahrungsmittelmultis wird die Natur in all ihren Formen zur industriellen Produktion herangezogen: grüne Energie, grüne Rohstoffe, gentechnisch verändertes Saatgut als Einstieg, Ausbau der Eigentumsrechte entlang der die Naturrohstoffe verarbeitenden Wertschöpfungskette etc. etc..
Zur Debatte stehen deshalb nicht nur Überproduktionskrise, Finanzkrise und Ernährungskrise, sondern es geht auch erkenntnismässig um ein lautlos zunehmendes Natur-Unverständ-nis. Weil der Zwang zum Wachstum zwecks immer weiter fortschreitender Eigentumsbildung im Bereich des Finanzkapitals nicht erlaubt, unsere Bedürfnisse in einer sozialen Ordnung zu befriedigen, ohne die Naturgrundlage zunehmend auszubeuten und die Wirtschaftstätigkeit zur Bedienung dieser Kapitalansprüche zwangshaft ständig auszuweiten, soll nun also gemäss Rio +20 die Natur straffer einbezogen und zu einer erhöhten Produktivität umgebaut werden.
Quelle: UNEP, FAO, IMO, UNDP, IUCN, WorldFish Center, GRIDArendal, 2012, Green Economy in a Blue World
Wir kennen diese Ansätze,wie die zunehmenden Konflikte zwischen Kapitalverwertungsinteresse und der angestammten an der Bedarfsdeckung orientierten Landwirtschaft reguliert werden sollen, zur Genüge aus der aktuellen Agrarpolitik mit den Direktzahlungen für ökologische Dienstleistungen oder bezüglich der verlangten Ressourceneffizienz und dem verlangten Ausbau der Wertschöpfungsketten im Ernährungsbereich. Wie ein solches ‚grünes’ Gesamtsystem nachhaltig funktionieren soll, ist jedoch nicht offengelegt. Wer bezahlt eigentlich die vorgeschlagene Monetarisierung der Natur?
Wenn aber bereits ein sehr moderates Ziel zur sparsameren Verwendung des Erdöls unter Nutzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, in einer Weise, dass das bisherige Konsumniveau (ohne die Elemente der Verschleisswirtschaft, welche dann wegfallen) erhalten werden kann, an den Eigentümerinteressen der Finanzwirtschaft scheitert, dann stellt sich eine andere Frage: Ist die eigentumsrechtlich abgeschottete Kapitalakkumulation noch zeitgemäss in Anbetracht der enormen Potenziale zur Senkung des Stoffdurchsatzes der modernen Wirtschaft einerseits und in Anbetracht des aus den Fugen geratenden Verhältnisses der global herrschenden Wirtschaft zu unserer Naturgrundlage andererseits?
Wenn nämlich die Rationalisierungsgewinne stets privatisiert werden, ist es nicht möglich, quasi gegenläufig zu unserer wirtschaftlichen Entfaltung, dieses organisatorische gesellschaftliche Potenzial bei konstantem Konsum zur Aufwandsenkung zu nutzen und so unsere Naturgrundlage zu erhalten. Aber nur hierdurch führt der Weg durchs sprichwörtliche Nadelöhr.
Die Nutzung der Natur und ihrer produktiven Kräfte ist lebensnotwendig.
Wir müssen aber auch unsere Intelligenz nutzen dürfen, um die Naturgrundlage nicht zu zerstören und dennoch unsere Bedürfnisse decken zu können. Wenn jedoch unsere Arbeitsorganisation, welche es erlaubt, mit weniger Aufwand den Konsum zu decken, nur zu fehlenden Einkommen und somit zu Konjunktureinbrüchen führt, zwingt dies heute zu weiterem Wachstum und folglich zu übermässig zunehmendemRessourcenverbrauch und Umweltschäden. Damit verkehrt sich der Fortschritt in sein Gegenteil. Dieses Problem müssen wir lösen und nicht die Natur zu mehr Produktivität antreiben. Denn in der Weise, wie wir den inneren sozialen Zusammenhang unseres Wirtschaftens nicht überblicken und in zunehmende Krisen geraten, ist eben auch unser Naturverständnis fragmentarisch. Die These von Rio +20, die Natur produktiver zu machen, stellt einen krassen Rückfall in die altertümliche Subjekt-Objekt-Trennung dar. Mensch und Natur werden nicht mehr als eine Ganzheit verstanden, innerhalb welcher wir uns, je mehr wir von den Gesetzen der Natur verstehen, entfalten können. Sondern die Natur wird aus der Sicht eines fixen Eigentumsanspruches auf eine nicht vom Eigentümer geleistete Produktion als reines Objekt betrachtet, wo das Recht auf Aneignung der Früchte im Vordergrund steht, aber nicht die komplexen Verhältnisse ihrer Erzeugung. Dort steckt das Problem: wenn die Früchte des arbeitsteiligen Zusammenwirkens konsumiert werden, können sie dann gleichzeitig auch als Finanzkapital privat angeeignet und so dem Konsum entzogen werden? Diese Rechnung geht nur auf, wenn die Produktion ständig ausgeweitet wird. Der Wirtschaftsprozess muss deshalb immer mehr die Naturgrundlage verbrauchen und verursacht so einen zunehmenden Verschleiss der Natur-stoffe, der vom Konsum gar nicht gefordert wird.
Die einzige Antwort von Rio +20 auf die zunehmend bockende Umwelt und Natur besteht simpel darin, von der Natur eine höhere Produktivität zu verlangen. Und dies fordert eine in der Krise stehende Wirtschaft, die nicht einmal in der Lage ist, den Überfluss der Natur an nicht erneuerbaren Rohstoffen so zu verwenden, dass sich unsere Lebensgrundlage und das Zusammenleben der Menschen dabei nicht bedrohlich verschlechtert. Wie soll das erst her-auskommen, wenn nun die gesamte Biosphäre zum Gegenstand der simplen Ausbeutung bzw. zum direkten Objekt einer ungebremst zuwirkenden Verschleisswirtschaft gemacht wird?
Die Gründer der Biobewegung haben immer auch die soziale und die erkenntnistheoretische Frage gestellt. Rio +20 ist nur der folgerichtige Endpunkt einer verlorenen, weil vernachlässigten Auseinandersetzung um genau diese seit schon mehr als 30 Jahren unbeantworteten Fragen. Obsiegt hat vorläufig ein einfacher Empirismus, der nur den kurzfristigen privaten Kapitalgewinn anerkennt — und das nicht an einem angeblich schlecht vorbereiteten WEF, sondern eben in Rio +20.



