Veröffentlichung: 23.11.12; Aktualisierung: 22.04.14
von Hans Bieri, SVIL, Bioforum Schweiz
War die Einführung des Käsefreihandels ein Erfolg? Das BLW hat zu diesem Zweck bei der BAKBasel eine Studie in Auftrag gegeben, die soeben veröffentlicht wurde. Die Autoren kommen einerseits zum Schluss, dass die Handelsbilanz sich dabei verschlechtert hat. Der Käseimport ist mehr gestiegen als der Käseexport. Absolut sinkt der Käseexport über den ganzen beobachteten Zeitraum von 1990 bis 2011. Ab 2003 wurden die Exportstützungen reduziert. Seit 2007 ist der Käsemarkt vollständig liberalisiert. „Subtrahiert man die gesamten Käseimporte von den Käseexporten, zeigt sich eine deutliche Verschlechterung (im Sinne einer Abnahme) der Handelsbilanz über den Beobachtungszeitraum (1990-2011).“ BAKBasel, 2012, S. 35.
„Der Handelsbilanzsaldo (Exporte minus Importe) für Käse ging in den Jahren vor der Liberalisierung stetig zurück. 1990 exportierte die Schweiz rund 35’500 Tonnen mehr Käse, als sie importierte. 2003 verkleinerte sich das Verhältnis von Export zu Import auf lediglich 17’700 Tonnen. Der Handelsbilanzsaldo in Schweizer Franken verkleinerte sich zwischen 1990 und 2003 von Plus 335.5 Mio. auf 161.3 Mio. CHF. Die Schweiz verlor somit international deutlich an Bedeutung als «Käseland». Die Marktöffnung hat bei der mengenmässigen Betrachtung zu keiner neuen Entwicklung geführt. 2011 betrug das Plus beim Handelsbilanzsaldo noch knapp 11’000 Tonnen. In den Jahren 2004 bis 2008 konnte aber der wertmässige Rückgang des Handelsbilanzsaldos gestoppt werden. Seit Ende 2008 hat dann aber der starke Schweizer Franken wesentlich zu einem erneuten Rückgang des Handelsbilanzsaldos beigetragen, so dass dieser heute beinahe wieder auf dem Stand des Jahres 2003 ist.“ S. 77.
Zum gleichen Ergebnis, nämlich dass der liberalisierte Käsemarkt zu einem negativen Handelsbilanzsaldo geführt hat, ist eine Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz im Auftrag der Schweizerischen Vereinigung für einen starken Agrar- und Lebensmittelsektor (SALS) in diesem Sommer gekommen: „Aussenhandelsbilanz mit der Europäischen Union im Agrar- und Lebensmittelsektor, Eine Standortbestimmung mit Blick in die Zukunft, 2012“.
Ergänzend zu diesen klaren Zahlen stellt die BAK Basel dennoch zur Rechtfertigung des Freihandels im Käsemarkt die tendenziöse Behauptung auf, dass, wenn der starke Franken nicht gewesen wäre, sich die negative Bilanz stabilisiert hätte.
Aber auch diese Hoffnungen ändern nichts: Der Käsefreihandel hat den billigen Import begünstigt, den einheimischen Absatz deshalb verdrängt. Dieser durch den Import verdrängte Käse hat im billigeren Ausland und mit dem zusätzlichen Handicap des verteuerten Frankens nicht ausreichenden Ersatzabsatz gefunden.
Die seit Beginn der Liberalisierung des Käsefreihandels 2003 in der BAK Studie festgestellte Erhöhung der Käseproduktion und des -konsums in der Schweiz beruht somit bei sinkendem Export erst recht auf der inländischen Bevölkerungszunahme und vor allem der inländischen Zunahme des Pro-Kopf-Konsums. Warum überlässt man also dieses Wachstum in unserem Land dem billigen Import? Die BAK Basel-Studie behauptet nun, die Zunahme des Pro-Kopf-Konsums sei mutmasslich eine Folge des wegen des Imports erhöhten vielseitigen Angebots, weshalb der gestiegene Import kaum einen Schaden darstelle, weil er ja nur seine eigene Vorleistung abschöpfe.
Doch die Diversifizierung des Käseangebotes ist eine Folge der Aufhebung der staatlichen Milchmarktordnung einerseits und einer allgemeinen Sensibilisierung andererseits für gesunde Lebensmittel aufgrund von durch internationalen Handelsdruck sich häufenden Lebensmittelskandalen. Die Förderung der Nähe, der Regionalität und des Qualitätsbewusstseins beruht auf dem Grenzschutz und den Direkt- und Ausgleichszahlungen für die abgebauten Preissubventionen. Zeitgleich ist in der Schweiz das Interesse an einer biologischen, naturnahen, gesunden Lebensmittelproduktion aus der Nähe deutlich gestiegen. Auch da ist nicht der Import die Ursache für den Boom der Nachfrage nach Bioprodukten.
Das Problem liegt woanders. Es geht um die Industrialisierung der Milchverarbeitung. Die industriellen Milchverarbeiter wollen wachsen und fordern deshalb weitere Marktöffnungsschritte. Was Freihandel beim Käse bedeutet, zeigt ein Beispiel der Emmi: in den USA produziert der Milchverarbeiter mit eigenem Industrie-Knowhow, mit Markenmacht und mit billigerer, pasteurisierter Milch Gruyère mit Schweizerkreuz, was die einheimische gewerbliche Käseproduktion über den Exportkanal schädigt.
Der gleichen Geschäftslogik folgend, schlägt nun die Cremo über eine entsprechende Motion im Nationalrat vor, den Freihandel auch bei der Milch zu prüfen. Sie wird dabei von der Interessengemeinschaft Agrarstandort Schweiz (IGAS), welche den vollständigen Agrarfreihandel mit der EU befürwortet, unterstützt. Die grossen industriellen Verarbeiter haben in den letzten Jahren eine deutliche Senkung des Milchpreises gegen die Interessen der Produzentenorganisationen mittels unübersichtlicher Mengenentwicklung erreicht. Der Milchpreis wurde mit Hilfe der Segmentierung an exportfähige Preise herangeführt.
Die Logik der industriellen Milchverarbeiter ist die: Wenn der Freihandel beim Käse keinen grösseren Schaden bewirkt habe, wie dies die BAK Basel Studie suggeriert, warum sollte nicht auch der Milchexport für die wachstumsabhängige Verarbeitungsindustrie im Bereich des Möglichen liegen? Dem ist aus Produzentensicht entgegenzuhalten, dass die Differenzierungsmöglichkeiten bei der Milch deutlich geringer sind als beim Käse, womit für die Milchproduzenten und Industrielieferanten ein höherer Milchpreis ausgeschlossen wird.
Eine qualitativ hoch stehende Milchproduktion sollte mit Mengensteuerung den bäuerlichen Produzenten, den gewerblichen Käsereien und den Konsumenten dienen. Faktisch aber nutzen die industriellen Verarbeiter das Qualitätsargument für sich und erhöhen den eigenen Gewinn durch den Hebel ihrer grossen Marktmacht. Sie sorgen – wie dies die letzten Jahre gezeigt haben – für eine Überproduktion, die zu einem immer tieferen Milchpreis führt, wovon die Verarbeiter und der Handel noch einmal profitieren.
Anstatt die Industrialisierung der Nahrungsmittel mit Freihandel abzusichern, muss die Frage lauten, was müssen wir tun, um die eigene Milch bei den einheimischen kaufkräftigeren Konsumenten als eigentliches Frischprodukt zu einem qualitätsgemässen Preis verkaufen zu können?

