Als ich die Idee, dass eine Stickstoffsteuer die landwirtschaftliche Umweltverschmutzung fast schlagartig reduzieren würde, zum ersten mal hörte war ich überrascht. „Wieso?“ war Ernst Frischknechts Antwort, „der Stickstoff ist zwar der Motor des Wachstums, aber gleichzeitig auch der Auslöser diverser Krankheiten. Beim Weizen weiss man: je mehr Stickstoff, desto schneller kommt der Braunrost, Pilzkrankheit und alles, bei den Kartoffeln auch. Die Forscher Ähnelt und Hahn haben die Konsequenzen des Nitrateinsatzes in der Fruchtbarkeit schon vor 50 Jahren aufgezeigt. Deshalb sollte man den Stickstoff ähnlich besteuern wie Bleibenzin: das war dank einer kleinen Steuer innerhalb von 2 Jahren praktisch vom Markt verschwunden“.
Die Argumentation scheint logisch und das System bewährt, so zeigt z.B. die offizielle Statistik des Eidgenössischen Finanzdepartements wie der Tabakkonsum zurückgegangen ist während die Steuereinnahmen stiegen (1).
Die Stickstoffsteuer also als ergänzende Massnahme zu den in der in der AP 14-17 geplanten Förderung der naturnahen Produktionssysteme (2)? Ernst Frischknecht hat schon 3 Bundesräten die für die Landwirtschaft verantwortlich waren genau diesen Vorschlag gemacht. Er schrieb ihnen“… statt unsinnige, auf importiertem Dünger und Futtermitteln basierende Überproduktion mit falsch ausgerichteten Subventionen anzuheizen, könnten Steuern auf z.B. Stickstoff und Herbizide dem Bund Einnahmen bringen und gleichzeitig die landwirtschaftliche Produktion einer wirklichen Ernähungssouverenität näher bringen. Gleichzeitig würde die Belastung unserer Gewässer und der Klimaerwärmung zurück gehen. Die Bauern, die Konsumenten und die Bundeskasse würden gleichzeitig profitieren. …“
Nicht die Tatsache, dass seine Idee noch nicht aufgenommen wurde hat mich stutzig gemacht, sondern die Begründungen. Die erste meinte, man wolle die Bauern nicht noch mehr belasten in dieser sowieso schwierigen Zeit. Der Zweite antwortete, es sei interessant, aber man müsse bedenken, wieviel Krankheiten mit dem Erhitzen von Milch verhütet werden können. Der Dritte hat selber einen Bauernhof und schrieb zurück, dass sich der Bundesrat bewusst sei, dass die inländische Produktion nachhaltig sein sollte und setze auf einen verbesserten Vollzug (Umsetzung der Umweltgesetzgebung für die Landwirtschaft; zur Erklärung siehe >>>, Modul 3, Nährstoffe und Verwendung von Düngern) und wirtschaftliche Anreize.
Jeder Franken, der nicht ausgegeben wird, ist verdient.
Die Landwirtschaft: ein Service Public
(3, 4) Bis zur Industrialisierung war der Grossteil der Bevölkerung – wenigstens saisonal – in der Landwirtschaft tätig. In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahruhunderts wurde die Schweiz von einem Agrarland zu einem Industriestaat und die Landwirtschaft entwickelte sich parallel der Industrie:
Billige Transporte von Massengütern wie Getreide über Dampfschiff und Eisenbahnen führten zur ersten Globalisierung und in der Landwirtschaft zu einer internationalen Arbeitsteilung, ähnlich derer wie sie heute wieder angestrebt wird. In der Schweiz verliess man sich auf billiges Importgetreide und spezialisierte sich auf Milch und die exportorientierte Käseproduktion.
Beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges war die Schweiz weitestgehend auf den Import von Brotgetreide und Gemüse angewiesen. Dann brach der internationale Handel zusammen und statt „billiges“ Brot brauchte man jetzt „sicheres“ Brot.
Die Nahrungsmittelproduktion musste schleunigst den Bedürfnissen der nicht-bäuerlichen Bevölkerungsmehrheit angepasst werden: die Regierung verordnete eine Diversifizierung (weniger Vieh- zu Gunsten von mehr Ackerwirtschaft) und Extensivierung (z.B. wurde unbebautes Land der Zwangspacht unterstellt) der Landwirtschaft. Alle, d.h. Produzenten, Konsumenten, sowie Industrie- und Handelsunternehmen beteiligten sich an der Umsetzung.
Diese „Erfolgserlebnisse“ der Krise von 1917/18 trugen zur Überzeugung bei, dass eine nationalstaatlich orientierte Ernährungssicherung sinnvoll sei. In diesem Sinn wurde die Landwirtschaft als „Service Public“ ausgestaltet und zum Zulieferer der Industriegesellschaft „degradiert“.
Geschickt wurden und werden die landwirtschaftlichen Spitzenverbände in die agrarpolitischen Entscheidfindungsprozesse eingebunden und somit ein reibunsloses Umsetzen der staatlichen Agrarpolitik gesichert.
Das Landwirtschaftsgesetz von 1951 war noch von der Kriegserfahrung geprägt und stipulierte, dass sich die Agrarproduktion am inländischen Produktionspotential für die hier lebenden Menschen ausrichten müsse. Es formulierte sogar (in Art. 19) die Bestimmung, dass die Nahrungsmittelproduktion an die betriebs- und landeseigene Futtergrundlage anzupassen sei. Doch das Gesetz wurde, kaum war es in Kraft, von der Realität überholt: Um der rasant wachsenden Nachfrage nach Fleisch nachkommen zu können wurde die Strategie der „inneren Aufstockung“ entwickelt: auf Basis importierter Futtermittel konnte die Tierproduktion massiv erhöht werden. Dabei wurde in Kauf genommen, dass, wie schon 100 Jahre vorher, ein wesentlicher Teil der Lebensmittelgrundlage ins Ausland verlegt wurde.
Mit dieser Quadratur des Kreises hatten kleine und mittlere Betriebe, die sich flächenmässig nicht vergrössern konnten, die Möglichkeit gegen innen „zu wachsen“. Die daraus folgende Produktivitätssteigerung gaben die Bauern mit sinkenden Preisen weiter. Aus der Urproduktion wurde innerhalb weniger Jahrzehnte ein Wirtschaftszweig, der zur Produktion seiner Güter und Dienstleistungen auf den Märkten so viele Vorleistungen einkauft, dass diese mittlerweile sogar höher sind als die Bruttowertschöpfung(4).
Stickstoff: Die Chemische Kriegswaffe wird Wunderdünger
Vor dem 2. Weltkrieg verwendete man 20-25kg Stickstoff/ha in der Schweiz.
Die Werke der BASF produzierten schon in der Zwischenkriegszeit Dünger, aber auch Senfgas (5): Bevor Stickstoff für die Landwirtschaft im grossen Stil Verwendung fand, wurde er im Krieg eingesetzt (6). Es gab das Stickstoffbasierte Senfgas N-Lost und das Schwefelbasierte Senfgas S-Lost (7). Nach dem Krieg wurde versucht, diese N-Methyl-Verbindung (N-Lost, N-Methyl-Lost oder NH2) therapeutisch zu brauchen. Wegen der unerwünschten toxischen Nebenwirkungen kam man aber wieder davon ab (8).
Um den Bedürfnissen der nicht-bäuerlichen Bevölkerungsmehrheit gerecht zu werden versuchte man der erhöhten Nachfrage mit erhöhter Eigenproduktion nachzukommen und begann in den 1950er Jahren vermehrt, mineralische Dünger zu benutzen. Damit konnte – trotz reduzierter Fläche – die Futtermenge vergrössert und die Milchproduktion gesteigert werden, wenn auch auf Kosten der Umwelt, wie auf der Seite des Bundesamtes für Landwirtschaft steht (9):
“…Beim Stickstoffkreislauf in der Landwirtschaft (Pflanze – Nutztier – Hofdünger) treten teilweise unvermeidbare Verluste auf, die in Luft und Wasser verfrachtet werden und in zahlreichen Ökosystemen Beeinträchtigungen hervorrufen. Als Ammoniak gelangt Stickstoff beispielsweise über die Luft in Moore und Wälder, was dort einen unerwünschten Düngungseffekt hat. Als Nitrat wird die Qualität von Trinkwasser beeinträchtigt und Meere können via Zuflüsse eutrophiert werden. Als Lachgas trägt Stickstoff zum Klimawandel bei.
Bei diesen drei Stickstoffformen ist die Landwirtschaft die Hauptemittentin. Beim Ammoniak steuert die Landwirtschaft 93% zu den schweizerischen Emissionen bei, bei Nitrat sind es etwas weniger als 50%, bei Lachgas 75%. Folglich kommt der Landwirtschaft eine spezielle Verantwortung zur Erreichung der nationalen Umweltziele im Stickstoff-Bereich zu. …”
„Nährstoffe und Verwendung von Düngern in der Landwirtschaft“ (Modul 3 der Vollzugshilfe Umweltschutz in der Landwirtschaft 10), publiziert vom BAFU Ende 2012 verweist auf die Düngungsnormen nach GRUDAF 2009 (11) und stipuliert
“Wegen des starken Einflusses des Stickstoffs auf Ertragsbildung und Qualität des Ernteguts liegt es zudem im Interesse jedes Landwirts, die für eine optimale Stickstoffdüngung erforderlichen Grundlagen zu kennen und entsprechend zu düngen.”
Gesundheit
Zur nachgewiesenen Umweltbelastung kommt die gesundheitliche: Nitrat aus Dünger verursacht bei Pflanzen eine Zwangsernährung. Sie verlieren dadurch ihre Fähigkeit, Mineralstoffe und Spurenelemente aus dem natürlichen Boden aufzunehemen. Diese Stoffe fehlen dann auch in den Nahrungsmitteln und können mit künstlichen Ergänzungsstoffen nur unzureichend ersetzt werden.
Schon vor 50 Jahren haben die Forscher Aehnelt und Hahn den Nitrateinsatz auf Grünwiesen untersucht und einen Zusammenhang mit Körperdeformationen und Unfruchtbarkeit gefunden (12).
Nitrat ist, je nach Zusammensetzung des Essens, an vielen Stoffwechselkrankheiten massgebend beteiligt:
Durch Bakterien im Speichel wird das Nitrat, das als Dünger ins Lebensmittel kam, in Nitrit verwandelt. Gelangt dieses in den Magen, verbindet es sich mit bestimmten Eiweißstoffen zu so genanntem Nitrosamin, einem Stoff, der krebserregend sein kann. Die Forscher gehen davon aus, dass diese Nitrosamine schuld an bestimmten Zivilisationskrankheiten sind. Der Grund: Sie verändern die DNS des Menschen, genau so wie man es z.B. bei Parkinson feststellen kann.
Es scheint also bewiesen, dass die Nebeneffekte der Nitratdüngung nicht unproblematisch sind, und ihre Folgekosten für die Umwelt und die Volksgesundheit einen allfälligen Gewinn längst übersteigen.
Ernst Frischknecht will die Nachhaltigkeit unserer Landwirtschaft fördern und ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Mit Steuern auf Stickstoff und Herbizide. Alle würden profitieren: die Bauern, die Konsumenten und die Bundeskasse.
Die Mineraldünger machen aus der Landwirtschaft den grössten „Klimakiller“ unseres Landes. Wenn eine Steuer das korrigieren kann, und dabei noch unsere Lebensqualität steigert: weshalb nicht?!
Quellen:
- SVIL Schrift 135, Die Landwirtschaft als Chance einer zukunftsfähigen Schweiz, 1999
- Agrarpolitik als Ernährungspolitik. Am Konsum orientiert, über die Produktion thematisiert: die schweizerische Agrarpolitik 1914/18 bis 1960 von Peter Moser >>>
- Agrarischer Strukturwandel – eine Analyse aus historischer Perspektive, Peter Moser, agrolink 2012 >>>
- Ökosystem Erde: Historischer Rückblick auf die Landwirtschaft >>>
- Ökosystem Erde: Ernährung, Gesundheit und Bevölkerung >>>
- Agrarreform: erklärt bei Landwirtschaft.ch >>>
- Lebensmittel und Gesundheit mit besonderer Berücksichtigung des Biologischen Landbaus, Literaturstudie von Karin Kienzl u. Elisabeth Schwaiger >>> (mit Verweis auf die Studie von Aehnelt und Hahn von 1962 Zur Schwankung der Spermaqualität bei Besamungsbullen unter besonderer Berücksichtigung von Umweltbelastungen. Züchtungskunde 34, pp. 63-72 und von 1965 über die Beobachtungen über die Fruchtbarkeit von Besamungsbullen bei unterschiedlicher Grünlandbewirtschaftung.-
- Vegetarismus.ch Nitrat im Gemüse macht gesund! >>>
- Die bereits im „Kein Mist“ angegebenen Stickstoffquellen.
- BAFU: Vollzugshilfe Umweltschutz in der Landwirtschaft >>>
- BAFU: Nährstoffe und Verwendung von Düngern in der Landwirtschaft >>>
- Öffentliche Dokumente der Arbeitsgruppe „Vollzugshilfe Landwirtschaft“ >>>
Organigramm der Vollzugshilfe >>> - Klimastrategie Landwirtschaft >>>
- Stickstoff bei Wikipedia >>>
Weitere Quellen zu Stickstoff und Krieg:
- Als BASF produzierte 1918 in 2 Werken Deutschlands 90‘000 Tonnen Stickstoff, die fast gänzlich zur Militärischen Nutzung bestimmt waren >>>
Heute wird an der gleichen Produktionsstätte aus „als Ammoniak industriell gebundenem Stickstoff… Mineraldünger hergestellt - Wie Dünger bei BASF explodierte wird in der BASF Unternehmensgeschichte von Werner Abelshauser, 2. Auflage 2003 , Seite 209 geschildert >>>
- Doch es wird bis heute für die Produktion von Explosivstoffen verwendet (siehe z.B. Massnahmen gegenüber Usbekistan, Punkt 3.2.b) >>>
- Stickstoff ist neben Metall die Basis des modernen Krieges. Stickstoff in Form von Ammoniak und Salpetersäure ist ein unerläßlicher Bestandteil der Pulver- und Sprengstoffherstellung: Die Kriegswirtschaft der Sowjetunion während des Vaterländischen Krieges, Nikolai Alexejewitsch Wosnessenski >>>
- Senfgas, auch als Lost bezeichnet, gibt es auf Basis von Stickstoff (N-Lost) oder Schwefel (S-Lost) >>>. Sie gehören zur Gruppe der Hautkampfstoffe (Gelbkreuz).

