Markus Ritter ist Nationalrat und Präsident des Schweizerischen Bauernverbandes. Mit seiner freundlichen Genehmigung veröffentlichen wir hier seinen Kommentar, der am 14. April 2013 in der „Ostschweiz am Sonntag“ erschien:
Unserem Kulturland Sorge tragen
Am 22. März wurde die Agrarpolitik 2014/17 vom Nationalrat und Ständerat in der Schlussabstimmung gutgeheissen. Zurzeit läuft die Referendumsfrist. Am 8. April wurde vom Bundesrat die Vernehmlassung zur Verordnung eröffnet. Innerhalb der Landwirtschaft sorgt die Anpassung der Landwirtschaftsgesetzgebung für intensive Diskussionen.
Das Schweizer Stimmvolk gab 1996 der Landwirtschaft einen neuen Verfassungsartikel mit einem Ja-Stimmen-Anteil von 77 Prozent. Im Artikel wird der Auftrag an die Landwirtschaft multifunktional definiert. Eine nachhaltige Entwicklung hat eine grosse Bedeutung für unsere Agrarpolitik. Die Schweizer Bauernfamilien produzieren regional gesunde Lebensmittel, pflegen unsere Landschaft und sorgen für sehr viel ökologischen Ausgleich. Ebenfalls nimmt in der Landwirtschaft das Engagement für Familie und Gesellschaft einen hohen Stellenwert ein. Die politische Diskussion im Rahmen der Agrarpolitik 2014/17 drehte sich um die Gewichtung der verschiedenen Aufträge innerhalb der Multifunktionalität. Wie stark soll die Produktion von Lebensmitteln, die Pflege der Kulturlandschaft und die ökologischen Aufgaben gewichtet werden? Dabei war für die Landwirtschaft spürbar, dass der Grundlagenbericht für die Agrarpolitik 2014/17 in den Jahren 2006 und 2007 erarbeitet wurde. Die Erkenntnisse aus den Jahren 2008 und 2009 mit der weltweiten Lebensmittelkrise und den Hungerrevolten in Nordafrika fanden zu wenig Eingang in die Berichte.
Der Selbstversorgungsgrad der Schweiz beträgt heute noch 54Prozent. Das heisst fast jede zweite Kalorie müssen wir importieren. Der weltweite Getreidevorrat beträgt zwei Monate. Ohne neue Ernten wäre also in zwei Monaten alles Getreide aufgegessen. Weltweit werden nur zehn Prozent der Lebensmittel über die Landesgrenzen hinweg gehandelt. Die Schweiz hat eine Million Hektar Kulturland, wovon 122‘000 Hektaren ökologische Ausgleichsflächen sind. China hat sich in Malaysia, Indonesien und den fruchtbaren Regionen Afrikas über elf Millionen Hektar Ackerland gesichert. Die Weltbevölkerung wächst jährlich um 80 Millionen Menschen. Wegen des Klimawandels gehen die Süsswasserreserven in den südlichen Ländern immer mehr zurück. Die UNO hat diese Woche einen Bericht veröffentlicht, in welchem Rahmen sich die Wüsten weltweit ausdehnen.
Die Schweizer Bauernfamilien leben und arbeiten nachhaltig. Wir setzen uns für den ökologischen Ausgleich ein und nehmen unsere soziale Verantwortung im ländlichen Raum wahr. Die weltweite Entwicklung mahnt uns aber, der Lebensmittelproduktion in unserem Land und damit auch dem Kulturland Sorge zu tragen. Die Verordnung und die künftige Agrarpolitik müssen diesem Anliegen stärker Rechnung tragen.



Ein wertvoller Beitrag von Herrn Ritter mit hochinteressanten Zahlen. Unklar bleibt für mich, warum der SBV dann das Referendum nicht unterstützt. – Ich wär froh um eine Antwort von berufener Stelle …
M.E. wurde mit der AP 14-17 bei Weitem nicht nur “die Gewichtung” der multifunktionalen Ziele verändert, sondern es wurde doch – so zumindest meine Wahrnehmung – eine eigentliche “Trennung” dieser Funktionen vorgenommen. Statt unter ökologischen Rahmenbedingungen zu produzieren und entschädigt zu werden (was sinnvoll wäre), soll der Landwirt künftig entscheiden, ob er Produktion (schon heute mit vielen Vorschriften) oder (nicht “und” sondern “oder”) Ökologie, Biodiversität etc. betreiben soll. Es ist diese Trennung, die sich verheerend auswirken kann und den Selbstversorgungsgrad noch weiter sinken lassen dürfte: Wegen all jenen, die sich der finanziellen Anreize bzw. Zwänge wegen partiell oder ganz aus der Produktion zurückziehen, während gleichzeitig jährlich 80’000 Menschen zusätzlich in der Schweiz ernährt werden sollen. – Die kann nicht aufgehen !
Folge: Entweder das Referendum unterstützen, oder wenn das politisch nicht geht (warum eigentlich?) zumindest die Ausführungsbestimmungen so begleiten, dass dieser Trennung Einhalt geboten werden kann. Die Agrarpolitik darf sich nicht langsam von ihrer ursprünglichen Funktion, nämlich der Lebensmittelproduktion, entfremden, um mit billigen Arbeitskräften den Tourismus und die Immobilienbranche (Zuzüger in die schöne Landschaft) anzukurbeln. (Dazu müssten andere Finanzierungsmodelle geschaffen werden).
Hermann Dür, Burgdorf