Zum Artikel «Aber was heisst ökologisch?» in der WOZ vom 18. April
von Hans Bieri
Das geldgetriebene Wirtschaftswachstum beruht auf einer Unterbewertung der natürlichen Ressourcen sowie jener Bereiche der Wirtschaft, die nahe mit dem Boden und mit Rohstoffen arbeiten und somit der Begrenztheit der Natur unterliegen. Die Landwirtschaft kann ihre Produktion nicht wesentlich ausdehnen, was sich in der zunehmenden Differenz zwischen Produktionskosten und den sinkenden Produzentenpreisen der Landwirtschaft äussert. Zugleich werden die Naturgrundlagen weit über die Erneuerbarkeit hinaus verbraucht.
Nirgends tritt dieser Konflikt zwischen Bedarfs- und Gewinnorientierung deutlicher zu Tage als bei der Ernährung. Wir ernähren uns am gesündesten, wenn wir das aufnehmen, was die Natur in unserer langen Entwicklungsgeschichte präsentiert. Die mit den landwirtschaftlichen Frischprodukten arbeitende industrielle Produktion ist allerdings auf die zusätzliche Wertschöpfung ausgerichtet statt auf die natürliche Gesundheit.
Die industrielle Arbeitsorganisation sowie Forschung und Wissen erlauben Produktionsprozesse mit weniger Naturstoffverbrauch, mit weniger Arbeitsaufwand und mit einer immer besseren Ausrichtung auf nachhaltige Produkte. Es müsste deshalb möglich sein, die Lebensmittel innerhalb des Lebensraums der Konsumenten gesund und nachhaltig zu produzieren. Doch stattdessen werden die Wirtschaft und der Stoffwechsel des Menschen mit der Natur zerlegt, in Importöffnung einerseits und «Bioland Schweiz» andererseits. Die Wachstumswirtschaft und ihre globale Durchsetzung werden als unvermeidlich angesehen, wogegen die Ökologie mit speziellen Leistungsanreizen getrennt davon gefördert werden soll. Die finanziellen Mittel dazu werden allerdings nach wie vor von der Wachstumswirtschaft abgezweigt, was diese weiter antreibt, zusätzliche Mittel zu beschaffen, was dann wiederum einen zusätzlichen Naturverschleiss nach sich zieht etcetera. Deshalb ist es besser, sich gar nicht auf diese Trennung einzulassen.
Kleine Binnenländer wie die Schweiz haben zur Sicherung ihrer Ernährung keine Alternative, als die Eigenversorgung mit Lebensmitteln selbst zu organisieren — gegen den Agrarfreihandel und das globale Wachstumssyndrom. Das ist nur möglich, wenn zum Beispiel die inländische Getreideproduktion durch Zollschranken geschützt wird. Müssen diese Zölle WTO-bedingt gesenkt werden, dann müssen die fehlenden Einkommen wegen sinkender Preise mit Direktzahlungen ausgeglichen werden.
Auch in der EU und in der Schweiz wird die Öffnung des Agrarmarkts, sprich der Abbruch des bisherigen Landwirtschaftsschutzes, als eine «unerlässliche Reform» verlangt. Diesem «Reformprozess» dient auch der neue Vierjahresplan für die Agrarpolitik, der so genannte AP 14-17. Die heute geltenden Direktzahlungen sind ein teilweiser Einkommensersatz für sinkende Produzentenpreise als Folge des reduzierten Grenzschutzes. Diese Direktzahlungen werden in der AP 14-17 reduziert mit dem neoklassischen Reformargument, der Konsument und Steuerzahler sei nicht mehr länger bereit, für Nahrungsmittel mehr zu bezahlen, die er billiger importieren könne. Wenn er aber mehr bezahlen soll, dann wolle er dafür einen Gegenwert in Form von «mehr Ökologie».
Die bisherigen Direktzahlungen, die das Einkommen aus der Lebensmittelproduktion gestützt haben, werden künftig in Entgelte für Pflege- und Dienstleistungen umgewandelt. Damit wird die landwirtschaftliche Produktion der bisherigen Einkommensstützung beraubt und dem Markt ausgesetzt. Die bisherige landwirtschaftliche Produktion wird also durch die Agrarmarktöffnung reduziert, und der entsprechende Einkommensverlust soll durch von der Produktion getrennte Ökodienstleistungen kompensiert werden. Doch das Risiko der reduzierten Selbstversorgung trägt dann wieder die Bevölkerung.
Nun behaupten die Gegner des Referendums, es stünde nicht ein Paradigmenwechsel zur Diskussion, sondern lediglich ein Meinungsstreit zwischen Bio-Bauern und SVP-Bauern. Doch «auf zwei Ebenen denken», wie es in der WOZ vom 18. April 2013 vorgeschlagen wurde, bestätigt lediglich das «Reformkonzept» der Trennung von Produktion und Ökologie, der Trennung von zu akzeptierendem Billigimport und der Landschaftspflege. Der in der WOZ geäusserte Vorwurf an die Referendumsbefürworter, mit der Ablehnung der AP 14-17 würden womöglich in der Schweiz tieferen ausländischen Standards und dem Billigimport zum Durchbruch verholfen, folgt den alten Meinungsdifferenzen zwischen «bio» und «konventioneller» Landwirtschaft. Diese ist allerdings in Bezug auf die Agrarmarktöffnung und die schweizerischen Klein-Produktionsstrukturen überholt. Dagegen muss die fragwürdige Allianz zwischen Pro Natura, WWF, Bio-Suisse etcetera und der Economiesuisse diskutiert werden, die den Agrarfreihandel will oder ihn zumindest als alternativlos bezeichnet. Die Einkommensstützung der an ökologische Mindeststandards gebundenen inländischen Lebensmittelproduktion wird in der AP 14-17 geopfert zugunsten von immer mehr Landschaftsgärtnerei und «grünen» Dienstleistungen. Doch gerade diese Preisgabe des eigenen Agrarschutzes und der eigenen Produktion, führt zum Billigimport. Sie ist lediglich eine Fortsetzung der bisherigen Wachstumswirtschaft. Eine breite Diskussion in der Konsumentenschaft, was bezüglich ihrer Bedürfnisse aktuell auf dem Spiel steht, wird durch das Referendum ermöglicht.
Hans Bieri ist Geschäftsführer der Schweizerischen Vereinigung Industrie und Landwirtschaft SVIL

