Maschinen wurden erfunden, um dem Menschen das Leben leichter zu machen. Der moderne Mensch passt sich der Maschine an. Das muss nicht sein, die Weltmacht mit 3 Buchstaben heisst ICH und jeder Konsument kann seinen Anpassungsgrad weitgehend selber bestimmen.
Wie wir das meinen? Nehmen wir z.B. den Weizen, dem weltweit neben Reis am häufigsten angebauten und verwendeten Getreide:
Weizen wird in der industriellen Nahrungsmittelherstellung sehr häufig verwendet. Nicht nur in Backwaren, sondern auch als Verdicker und Bindemittel in Käseaufstrichen, Würsten und Pasteten, Fertiggerichten, Suppengewürzen, Margarine und sogar in Pflanzenölen. Oft wird er als Getreidebindemittel, Getreideeiweiß oder Pflanzeneiweiß deklariert (1 und 2).
Ob als Kleber im Brot oder als Verdicker im Brotaufstrich: Das Getreideeiweiss Gluten (3) ist heute ein wichtiger Qualitäts-Indikator, denn „ein hoher Feuchtklebergehalt garantiert eine einwandfreie industrielle Verarbeitung in den Backstrassen der Grossverteiler, auf denen mehr als zwei Drittel des Bioweizens verarbeitet wird.“ Auch wenn deshalb „der Spielraum bei der Sortenwahl … immer kleiner“ werde. (4, p.10). So überrascht nicht, dass von den vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL für dieses Jahr 12 empfohlenen Weizensorten (5) über die Hälfte des angebauten Weizens die gleiche, eine Sorte (gekauft bei www.getreidezüchtung.ch) ist mit einem backstrassenfreundlichen Klebergehalt von 32% statt der ursprünglichen 8%!
Die Gründe dafür: Der Detailhandel bietet immer mehr frisch vor Ort gebackenes Brot und Backwaren an. Mit diesem Trend stellen sich betriebstechnisch andere, höhere Ansprüche an die Mehlqualität (6) – im In- wie im Ausland. Dass dadurch gleichzeitig eine ernährungsphysiologische Abwertung eintritt ist wenig bekannt. Ist der der Kleberanteil zu klein, kann dem Korn eine geringe Menge Aleuronat beigemischt werden (7).
Nebst der gezielten Züchtung wird der hohe Glutengehalt auch dank einer intensiven Nitratdüngung erreicht, die der Weizen (im Gegensatz zu z.B. Dinkel) verträgt. Die letzte Stickstoffgabe erfolgt, nicht selten in Kombination mit einer Fungizidspritzung, wenn die Ären schon draussen sind. Dann geht kein N mehr ins Blatt, nur noch in den Kern. Deshalb sind Weizenfelder auch für Laien leicht erkennbar: Sie haben unübersehbare Fahrspuren…
Je höher der Nitrateinsatz bei Getreide,um so stärker der Befall mit Schadpilzen, um so dringender die Fungizidbehandlung und um so stärker die indirekte Einschränkung der Bodenpilze, welche im Getreide eine Resistenz gegen Pilzkrankheiten aufbauen würde. Weil bei der Nitratdüngung bis zu einem Drittel des Stickstoffs ausgeschwemmt wird nimmt nicht nur die gesundheitliche Belastung für Konsumenten zu, sondern auch die Nitratbelastung im Grundwasser. Je später die Nitratdüngungerfolgt umso mehr Nitrat kann sich im Korn nicht mehr zu Rohprotein umwandeln und wird im Konsumenten zum krebserregenden Nitrit umgewandelt. Aber der Industrie erlaubt sie, die einheimische Produktion zu berücksichtigen: so hat z.B. die Migros vor 30 Jahren noch 80% des hier verarbeiteten Weizens (hauptsächlich aus Kanada) importiert und macht heute unser Brot mit 90% Schweizer Weizen.
Gluten besteht aus plastisch-elastischen Substanzen, die sich vorwiegend aus Gliandin (8) und Glutenin zusammensetzen (9). Glutedin wiederum (das sind ca. 10% der Speicherproteine im Weizenkorn) besteht zu 80 % aus schwefelreichen „Untereinheiten“ (10).
Würde mehr Schwefel auf dem Acker mehr Gluten im Mehl bedeuten (11)? Auf jeden Fall scheint, dass alles versucht wird um den Glutengehalt noch weiter zu steigern.
Zeit ist Geld
Getreide mit niedrigem Glutengehalt eignet sich weniger für die Schnellbackmethode, wo innerhalb 1.5Std nach Ansetzen der Hefe das Brot fertig sein muss. Auch Gipfeli brauchen einen höheren Klebergehalt als ihn reines Biomehl hergibt, das weniger Nitratdünger erhält.
Doch der Glutengehalt ist nur einer von drei verarbeitungsfreundlichen Faktoren:
Nebst dem Feuchtkleber-Gluten braucht die verarbeitende Industrie einen möglichst hohen Proteingehalt (für die Dehnbarkeit des Teiges) und einen hohen Zelenywert (für die Quellfähigkeit des Eiweisses). Diesem Bedürfnis tragen die „Empfohlene Sorten“-Listen (Link zu den Sommerweizensorten für die Ernte 2014: 12) ebenso Rechnung wie die Qualitätskriterien von Getreide und Mehl (13) .
Anfangs Jahr werden Richtpreise gemacht und wenn das Getreide abgeliefert ist und man die genaue Qualität und totale Menge weiss, werden die Preise entweder nach unten oder nach oben angepasst (14). Dabei (schlicht weil sie im Qualitätskatalog fehlen) wird keinem für den Konsumenten wichtigen Kriterium wie Nährwert oder Geschmack oder Gesundheit (z.B. unerwünschte Nebeneffekte von Proteinen, die nicht nur den Backprozess beeinflussen sondern je nach Struktur im Stoffwechsel auch als Rezeptoren, Hormone oder Botenstoffe z.B. an Hirnzellen wirken) Rechnung getragen und auch keinem die Umwelt betreffenden. Die Rechnung ist banal: Weniger Nitrat bedeutet weniger Gluten und damit weniger Punkte auf der Werteskala, lies ein niedrigerer Preis (15).
War der Weizen im Mittelalter eins der teuersten Getreide (16, p. 26) und lange nur für Festtage erlaubt (17, p. 156), verkamen er, oder das, was daraus gezüchtet wurde, zum Rohstoff am Anfang der industriellen Verarbeitung, und unser täglich Brot zu einem Marketing Slogan.
Eine Marktnische
Möglicherweise hat die Zunahme von Glutenallergikern nicht mit den modernen Weizensorten per se zu tun, aber die Tatsache, dass Glutenallergiker zu einem lukrativen Nischenmarkt geworden sind lässt sich nicht leugnen: Grossverteiler decken den Markt mit Eigenmarken ab (19), andere werben mit Rezepten und Gesundheitstipps (20, 21, 23).
Gluten wird so weit verbreitet angewendet, dass sogar “glutenfrei”-deklarierte Lebensmittel bis zu 20 mg Gluten pro kg Lebensmittel enthalten dürfen (24). Nur wenn über 20mg/kg enthalten sind ist Gluten als Zusatzstoff deklarationspflichtig (25).
Das Wirtschaftspotential geht noch weiter: Während in der Nahrungsmittelindustrie nach glutenfreiem Kleber geforscht wird bereitet die Chemische Industrie eine Impfung vor, dank der Glutenallergiker den Stoff verdauen können (26).
Wider besseres Wissen
Bereits in den 70er Jahren haben Erhebungen die Auswirkungen vom Nitrat auf die Fruchtbarkeit gezeigt, aber mit der industriellen Weiterverarbeitung wurde der Klebergehalt immer wichtiger. Dafür wurden Glutenin und Gliadin trotz ihrem niedrigen Nährwert (27, 28) durch Züchtung enorm gesteigert; allerdings scheinbar auf Kosten der ernährungsphysiologisch wertvollen Proteine Albumin und Globulin (29), die durch ihre hohen Gehalte an der essentiellen Aminosäure Lysin eine ausgezeichnete Nährhaftigkeit hätten (30) , und dies obwohl Albumin und Globulin hauptsächlich in der äußeren Schale des Korns vorkommen und das Klebereiweiß im Mehlkörper (31).
Edwin Scheller sah auch eine Korrelation zwischen der Steigerung des Glutengehalts im Weizen (durch Züchtung und intensiveren Nitratdüngung), und der Zunahme vom Verkauf von Antidepressiva-Mitteln. Eine Anzahl weiterer Folgen von übermässigem Weizenkonsum sind in der Weizenwampe (32) aufgelistet. Auch wenn die Wissenschaftlichkeit der Daten zum Teil nicht standfest sein mag: ganz ohne Feuer gibt’s keinen Rauch.
Noch nicht, oder viel zu wenig, erforscht ist die Kombination dieser Extremzüchtungen mit Dünger und Unkrautvertilger und ihre Folgen für den Konsumenten.
Fest steht: würden die Folgekosten der Normallandwirtschaft zum Preis geschlagen würden unsere Lebensmittelsehr viel teurer als sie das jetzt sind, Roggen weist im Vergleich zu Weizen doppelt so hohe Gehalte an Albumin- und Globulin auf (33), und Dinkel verträgt viel weniger Stickstoffdünger. Es gibt also zukunftsfähige Alternativen.
Links zum Thema:


In Kürze mein Kommentar als Müller (Hermann Dür AG, Burgdorf)
Ob ein hoher Proteinwert erwünscht ist, ist in den Branchen Produzenten und Müller (vermutlich auch Bäcker) umstritten. (Das Thema löst in den Fachkreisen erstaunlich viel Emotionen aus …). Es wurde daher auch schon mal diskutiert, bei einem sehr hohen Gehalt an Protein einen finanziellen Abzug zu machen. Es sind v.a. Grossverteiler, die Wert auf hohe Proteinzahlen legen (aber auch bei ihnen nach oben begrenzt).
Der Klebergehalt – wenn schon, viel aussagekräftiger als Protein, da dieses auch das für uns Müller und Bäcker irrelevante Albumin und Globulin umfasst – ist nicht für die Qualität entscheidend: Nur die KOMBINATION (!!!!!!) aus Klebergehalt und Kleberqualität erlaubt qualitative Aussagen ! – Gemessen wird das zumeist in einem Laborgerät, das sich „Extensograph“ nennt, und die Masseinheit ist die Extensogrammfläche. – Problem: Das Gerät kostet etwa Fr. 50‘000.-, das kann sich kein Bauer oder Sammelstelle einfach so leisten. Zudem ist der Zeitaufwand zum Messen hoch und erfordert reichlich Übung . – Seit Jahrzehnten beklagt die Branche, dass zum Messen von Kleberqualität und –quantität leider kein Schnelltest zur Verfügung steht. Zum Mond konnten wir fliegen, aber einen Schnelltest für die Kleberquantität und –qualitätsbestimmung haben wir immer noch nicht (das dürfte an der geringen Wertschöpfung liegen, die in diesen Branchen möglich sind. In der Pharmaindustrie – vermute ich – hätte man sowas wohl eher schon, weil da die finanziellen Anreize und Ressourcen viel grösser sind) . – Schnell geht eben allenfalls die Proteinmessung … aber da geht eben der Streit los: Wollen wir eine schnelle und wenig aussagekräftige Grösse – oder wollen wir eine aussagekräftige Grösse, die aber erst nach Ablad des Getreides bei der Sammelstelle (die kommen im Minutentakt mit den Traktoren und müssen möglichst rasch wieder auf’s Feld zurück !!) oder in der Regel sogar erst in der Mühle gemessen werden können ??? – Wahrscheinlich haben sich schon Kain und Abel darüber gestritten.
Der Stickstoffeinsatz kur vor Ernte zum Hinauftreiben des Proteingehaltes ist professionell verpönt und schadet anerkannterweise den Müllern und Bäckern. Das gilt bei uns als Gemeinplatz. – Ein diskutiertes Problem ist daher heute, wie man dem vorbeugen könnte, sollte es zur Proteinbezahlung kommen. Damit ist tatsächlich ein objektives Spannungsfeld zwischen Produzenten und Abnehmern gegeben.
Der Proteingehalt kann aussagefähig sein – aber nur, wenn gleichzeitig die Sorte bekannt ist. Werden verschiedene Sorten gemischt abgeliefert oder eingelagert (niemand hat so viele Zellen, dass er alles getrennt lagern könnte), sagt der Proteingehalt eben nur noch wenig aus für Müller und Bäcker… – Zur Zeit ist eine Arbeitsgruppe aus Müllern, Bäcker und Getreideproduzenten unter Beizug wissenschaftlicher Kräfte („Arbeitsgruppe Protein“) im Rahmen der Swissgranum-Organisation daran, aus diesem Wirrwar herauszufinden. (Es ist eine Herausforderung, dass dabei niemand in die Versuchung kommt, einfach dem anderen den schwarzen Peter zuschieben…).
Im Ausland ist das oft insofern einfacher, als bei gegebener Sorte aus den riesigen ebenen Feldern Canadas oder Frankreichs oder so homogenere Verhältnisse vorliegen. Unsere Topographie (und Sortenvielfalt etc.) macht die Schweiz nicht zum Landwirtschafts- und auch nicht zum Getreideland. U.a. rühren daher ja auch die höheren Preise – wegen den Standortnachteilen (die ich zum Erhalt einer sichereren Ernährungsbasis aber sehr gerne in Kauf nehme. – Wir sehen heute im Bankensektor was passiert, wenn man bei lebenwichtigen Dingen vom Ausland abhängig ist !).
Innerhalb einer Getreideart (also Weichweizen, Roggen, Dinkel, etc.) ist der Geschmack des Gebäcks kaum noch von der Sorte abhängig! Geschmacklich ist die Sorte für den Konsumenten in der Praxis recht unbedeutend (mental gilt hingegen etwas anderes !!). – Für Geschmacksunterschiede in der Praxis sind viel relevanter: Der Brotaufstrich bzw. die Beilagen, die Rezeptur und Herstellung des Gebäcks (Hefemenge, Salz, Knetzeiten, Stockgare (ganz wichtig, da sich hier viele Aromastoffe bilden), der Backprozess (Temperatur und Dauer – weitere Aromastoffe die sich dabei bilden), das (vermeindliche) Vorwissen zu diesem Gebäck (also, was man zu wissen glaubt – nicht unbedingt, was effekiv ist; es gibt schöne Testbeispiele dazu…), das Aussehen des Gebäcks (!), der Name des Gebäcks, und das Ambiente, in welchem gegessen wird. – Das Geschmackserlebnis wird v.a. durch diese Faktoren stimuiert, und viel weniger durch die unterschiedlichen Getreidesorten (sehr ähnlich übrigens beim Wein). – Der Blindtest als Referenz beim Brot würde das bestätigen – aber das ist wenig aussagekräftig, da niemand sich im permanenten Blindtest ernährt….