Die Gesellschaft Schweiz-UNO will zur Frage der Ernährung und der Ernährungssouveränität sensibilisieren. Sie organisierte am 20. Juni 2013 eine Veranstaltung an der Universität Bern zum Thema
Grosskonzerne oder Familienbetriebe
Gerne veröffentlichen wir hier eine Zusammenfassung des Einführungsreferats von Peter Niggli, Geschäftsleiter der Alliance Sud:
Was bewegt die globale Landwirtschaftspolitik?
1. Geht uns die Nahrung aus?
Wie lange kann die Bevölkerung noch wachsen, bis die Grenzen der Natur erreicht sind?
Diese Frage der physikalischen Begrenztheit unserer Erde wird seit 200 Jahren diskutiert, als Malthus ein periodisches Massensterben prophezeite, wodurch die Bevölkerung sich der nicht vermehrbaren Nahrungsgrundlage immer wieder anpasse (1).
Mit wachsendem Verbrauch an mineralischen Ressourcen (sie lassen sich auf eine gewisse Zeit beschleunigt abbauen) wurde die Nahrungsmittelproduktion allein in den letzten 50 Jahren um 25% pro Kopf der Erdbevölkerung erhöht – und trotzdem leidet heute eine Milliarde Menschen Hunger. Jede Minute stirbt ein Mensch an Hunger, und noch mehr bleiben lebenslang wegen Unterernährung behindert.
Wann die ökologischen Grenzen erreicht werden, ist offen. Der Klimawandel wirkt darauf beschleunigend: Mit dem Abschmelzen der Himalayagletscher werden die Himalayaflüsse in den Trockenperioden (viel) weniger Wasser führen als heute; mit direkten Konsequen-zen auf die Nahrungsmittelproduktion in der nordindischen Tiefebene, den Reiskammern Südostasiens und in China. Wassermangel wird auch weite Gebiete in Subsahara-Afrika treffen.
2. Welche Landwirtschaft kann 9-10 Milliarden Menschen ernähren?
Es gibt zwei Auffassungen:
a) Die Industrielle Landwirtschaft mit chemischen, biotechnischen und gentechnischen Hilfsmitteln sowie smarten Bewässerungssystemen, die weniger Wasser brauchen. Agro-Grossunternehmer bewirtschaften das Land und Grossverteiler mit globalen „Supply-Chains“ bringen die Nahrungsmittel zum Konsumenten.
Die bekannten Risiken sind mehr Treibhausgase, Bodenabbau, Rückgang der Biodiversität, aber auch eine forcierte Urbanisierung der arbeitslosen/vertriebenen Landbevölkerung.
Dem gegenüber steht
b) Eine moderne, wissenschaftsbasierte biologische Landwirtschaft mit umfassendem öffentlichem Management der natürlichen Ressourcen. Die vorherrschende Struktur be-steht aus Familienbetrieben — nicht eigentlich Kleinstbetrieben. Diese Richtung entspricht nicht dem globalen politischen Mainstream . Allerdings wächst das Interesse an dieser Landwirtschaft überall. In Asien gibt es Stimmen, welche das Management der natürlichen Ressourcen im Zentrum des Regierungshandelns sehen, weil die Biokapazitäten Asiens um einiges geringer sind als beispielsweise in Mittel- und Nordeuropa oder in Teilen Nordamerikas.
3. Fördert oder untergräbt der Weltagrarhandel die Ernährungssicherheit?
Global sind 131 Länder Nettoimporteure und 65 Länder sind Agrarexporteure (2). Zu letzteren gehören die USA, Brasilien, Argentinien, die EU — aber nicht die Schweiz, welche zu den Agrarimportländern gehört. 10% der Weltagrarproduktion wird international gehandelt, unter anderem um diese Produktionsunterschiede auszugleichen.
Zur Frage, wie der Weltagrarhandel gestaltet werden soll wird ein lebhafter Streit geführt:
1994 haben sich die westlichen Staaten in der WTO eine Sonderstellung ausbedungen. Die Entwicklungsländer mussten den Agrarmarkt für den Weltmarkt öffnen, während die Industrieländer den eigenen Agrarexport weiter subventioniert haben. Heute kämpfen die Nettoimporteure unter den Entwicklungsländern in der WTO dafür, ihre eigene Landwirt-schaft schützen bzw. einen gewissen Agrarschutz wieder einführen zu können. Gleichzeitig wollen sie die Exportsubventionen abgeschafft sehen, damit die afrikanischen Märkte nicht mit den Agrarprodukten der Industrieländer überschwemmt werden. Für die Schweiz ist der diesbezügliche Export unbedeutend. Die USA wehren sich vehement gegen die neuen Forderungen der Entwicklungsländer.
4. Können die Länder, welche zu wenig Lebensmittel herstellen, auf den Nahrungsmittelimport vertrauen?
Bis Mitte der Nullerjahre galt, dass jedes Land wenn immer nötig fehlende Lebensmittel über den Weltmarkt beschaffen kann. Nach 2008, als die Nahrungsmittelpreise in die Höhe schossen, die Finanzspekulation mit Nahrungsmittelderivaten riesige Kapitalien aus dem zusammenbrechenden Hypothekenmärkten anzog, es in einigen Ländern zu Hungeraufständen kam und Nahrungsexporteure Exportbeschränkungen verhängten, stellte sich die Frage neu. China und die Golfstaaten finden es nun strategisch sicherer, durch grosse Landkäufe im Ausland eigene Nahrungsproduktionskapazitäten sicherzustellen. Westliche Investoren schliessen sich dem an, weil sie mit langfristig steigenden Preisen von Nahrungsmitteln rechnen.
Das führt zum sogenannten Land- und Watergrabbing vor allem in Afrika sowie in schwä-cheren Staaten Südostasiens und Lateinamerikas. Hier helfen die Regierungen, die an-gestammte bäuerliche oder nomadische Bevölkerung rechtlich formlos von Land und Zu-gang zu Wasser zu vertreiben und im besten Fall mit lächerlichen Abfindungen für den Verlust ihrer Existenzgrundlage zu „entschädigen“ (3).
5. Wer isst die Weltagrarproduktion?
Es gibt nur zwei Arten, sich mit Lebensmitteln zu versorgen, entweder man produziert die Lebensmittel selber oder man hat das Geld, um sie zu kaufen. Die Milliarde Menschen, die an Hunger und Unterernährung leiden, tun das nicht, weil es zu wenig Lebensmittel gäbe, sondern weil sie zu arm sind, um diese kaufen zu können.
Die Menschen konsumieren die globale Agrarproduktion keineswegs zu gleichen Teilen. Allen ist heute bewusst, dass es im Vergleich zu einer vegetarischen Ernährung ein Vielfaches an landwirtschaftlichen Produkten braucht, um Fleisch essen zu können. Generell gilt, dass der individuelle Anteil am globalen Lebensmittelkonsum mit der Kaufkraft steigt.
Es gibt keine direkte Statistik über den Konsum an Nahrungsmitteln im Verhältnis zu den einzelnen Kaufkraftklassen. Aber wir haben Angaben über die Verteilung des gesamten Weltwirtschaftseinkommens auf Reiche und Arme.
Den 10% Reichsten der Weltbevölkerung fallen 57% des Weltwirtschaftseinkommens zu. Wogegen die 50% der Weltbevölkerung am unteren Ende der Einkommensskala nur 6.6% des Weltwirtschaftseinkommens erhalten. Das gibt eine Ahnung davon, welche Unterschiede innerhalb der Weltbevölkerung beim Lebensmittelkonsum bestehen.


