Frau Dr. Henriette Hanke Güttinger sieht in den TTIP/TAFTA-Verhandlungen, die diese Woche in die nächste Runde gingen, nichts Gutes:
Am 19.Dezember 1966 wurde das Selbstbestimmungsrecht der Völker im ‚Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte’ der Vereinten Nationen wie folgt festgeschrieben:
„Artikel (1) Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.
(2) Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen, unbeschadet aller Verpflichtungen, die aus der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf der Grundlage des gegenseitigen Wohles sowie aus dem Völkerrecht erwachsen. In keinem Falle darf ein Volk seiner eigene Existenzmittel beraubt werden.“
Für das Recht auf Selbstbestimmung hatten sich in erster Linie die ehemaligen Kolonialländer eingesetzt, unterstützt von den sozialistischen Staaten. Über Jahrhunderte zuerst von der ersten und später von der zweiten Welt ausgeplündert und ausgeblutet, sollte das Selbstbestimmungsrecht der Dritten Welt eine künftige Entwicklung in Würde ermöglichen. Sowohl die ehemaligen Kolonialmächte wie auch die USA versuchten die Festschreibung des Rechts auf Selbstbestimmung zu verhindern – glücklicherweise erfolglos (1).
Angriffe auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker
Seit 1966 lassen sich unzählige Versuche beobachten, das Recht auf Selbstbestimmung der Völker einzuschränken oder gar zu beseitigen. Willfährige Regierungen (oft unter Druck von IWF und Weltbank) schlossen und schliessen – ohne von ihren Völkern dazu mandatiert zu sein! – Verträge, die ganze Länder mit ihren Bevölkerungen erneut zur Ausplünderung freigeben (2). Neuestes Beispiel dazu ist der geplante Unterjochungsvertrag TTIP zwischen den USA und der EU, mit dem die Macht von Grossunternehmen und Investoren ausgeweitet werden soll.
TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership)
Ein Vorläufer des TTIP war MAI (Multilaterales Abkommen über Investitionen), welches von den wichtigsten transnationalen Unternehmen ausgearbeitet worden war. MAI sollte diesen Unternehmen die Möglichkeit geben, souveräne Staaten bei einer internationalen Instanz wegen wirtschaftlicher Nachteile zu verklagen und zur Kasse zu bitten. Als der Inhalt von MAI 1997 ruchbar wurde, waren die Proteste in Europa so massiv, dass der französische Ministerpräsident Lionel Jospin nicht unterschrieb. MAI war vom Tisch. Mit TTIP starten internationale Unternehmen und Investoren nun einen weiteren Versuch, ihre Interessen gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker durchzusetzen.
TTIP-Verhandlungen sind geheim
Um ein Scheitern wie bei MAI zu vermeiden, finden die TIPP-Verhandlungen, die 2015 abgeschlossen werden sollen, im Geheimen statt. Textentwürfe und Dokumente zu den Verhandlungen sind für die offiziellen Berater der Grosskonzerne einsehbar, für Presse und Öffentlichkeit jedoch tabu. Peter Esser, Vertreter der deutschen Wirtschaft in Washington und Teilnehmer an den Verhandlungen äusserte sich dazu wie folgt: „Manche Sachen sind wahrscheinlich besser hinter verschlossenen Türen getan.“ Auf den Einwurf „Ja, aber das ist nicht demokratisch!“ meinte er lachend: „Ja, demokratisch ist es nicht, aber was ist schon in diesem Leben demokratisch?“
TTIP soll die nationale Souveränität ausschalten
Mit TTIP sollen die nationalen Regierungen verpflichtete werden, den Inhalt des Vertrages bis hinunter in die Gemeinden umzusetzen, sogar wenn die Bestimmungen gegen nationales Recht verstossen: TIPP steht über den Gesetzen des Souveräns.
TTIP betrifft alle Bereiche
TIPP beinhaltet nicht nur Bestimmungen zu Handel und Investitionen, sondern greift breit in die nationale Souveränität ein. Folgende Punkte sind dabei zentral:
- Gentechnologie: Die GVO/GMO-Kennzeichnung soll abgeschafft werden
- Datenschutz: ungesicherter Datenfluss aus der EU in die USA
- Lebensmittelsicherheit: EU-Verbot für chlor- und desinfektionsmittelbehandeltes Fleisch und für wachstumshormonbehandeltes Fleisch (Ractopoamin) soll fallen
- Finanzsektor: Nationale Vorschriften zur Regulierung des Finanzsektors sollen beseitigt werden
- Nationale Regulierungen bezüglich Transport, Gesundheit, Bildung, Energie, Wasser, Raumplanung, Personenfreizügigkeit sollen beseitigt werden
TTIP – praktisch irreversibel
Will ein Land eine Bestimmung des Vertrages ändern, so müssen alle Vertrags-partner mit der Änderung einverstanden sein. Bevölkerungen in den Ländern können keinerlei Einfluss auf den Inhalt des Vertrages nehmen.
TTIP – internationales Schiedsgericht steht über nationalen Gesetzen
Das internationale Schiedsgericht, das unter der Aufsicht von UNO und Weltbank steht, soll mit Juristen und Richtern bestückt werden, die beruflich die Interessen der Grosskonzerne vertreten. Gegen Entscheide des Schiedsgerichts können die Nationalstaaten keine Berufung einlegen.
Investoren oder Unternehmen mit ihren Tochtergesellschaften haben damit die Möglichkeit, Länder, in denen sie tätig sind, beim internationalen Schiedsgericht zu verklagen, wenn sie ihre Investorenrechte beeinträchtigt sehen.
Praktische Beispiel kennt man bereits aus anderen Verträgen: Unternehmen aus USA und der EU verklagten Ägypten und Peru, weil sie ihre Rechte als Investoren verletzt glaubten. Ägypten hatte die Mindestlöhne angehoben und Peru wollte mit einem Gesetz toxische Emissionen begrenzen. (3)
Eine Wirtschaft zum Nutzen aller
Das Recht auf Selbstbestimmung gilt auch in wirtschaftlichen Belangen. Daher stehen wir ein für eine Wirtschaft zum Nutzen aller. Diese nimmt Rücksicht auf die Umwelt und auf „natürliche Ressourcen sowie auf die lokalen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen und auf die Landesversorgung.“ Sie „will den zukünftigen Generationen eine verantwortungsvolle und faire Wirtschaftsordnung weitergeben, in der die Handelsbeziehungen durch zielgerichtete Schutzmassnah-men geregelt sind, so dass die lokale und regionale Wirtschaft, die Lebensqualität und das Zusammenleben gefördert werden.“ (4).
Der TTIP-TAFTA-Vertrag kann gestoppt werden
In allen betroffenen Länder wächst der Unmut in den Bevölkerungen gegen die arroganten Machtansprüche der Grossunternehmen und Investoren. Wenn die Infor-mationen weiter verbreitet werden, kann das TTIP-TAFTA-Abkommen – wie damals MAI – versenkt werden. Dazu trage jeder seinen Teil bei: Wir wissen, was gute Schweizer Qualität bedeutet. Und wir sind kreativ genug, um uns gegen diese absurde Entwicklung einzusetzen.
Fussnoten:
(1) Ramon Leemann, Die Entstehung der Menschenrechte, NZZ vom 30.Mai 2013.
(2) Michel Chossudovsky Global Brutal Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg, Frankfurt am Main 2002. Maria Mies, Krieg ohne Grenzen Die neue Kolonisierung der Welt, Köln 2004. Naomi Klein, Die Schock Strategie Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus, Frankfurt am Main 2009. Jean Feyder, Mordshunger Wer profitiert vom Elend der armen Länder, Frankfurt am Main 2010. Jean Ziegler, Wir lassen sie verhungern Die Massenvernichtung in der Dritten Welt, München 2013.
(3) Lori Wallach, TAFTA – Die grosse Unterwerfung, Le Monde Diplomatique vom 8.11.2013 >>>
(4) Eidgenössische Volksinitiative ‚Für eine Wirtschaft zum Nutzen aller’.
Weitere Links zu TTIP und den Verhandlungen:
Die folgenden Links sind eine Auswahl, die helfen könnten, das rundum-Bild wenn auch nicht zu vervollständigen, so doch eventuell zu ergänzen:
- Zeitonline: freihandelsabkommen-eu-sonderrechte-konzerne
- Süddeutsche: bedenken-gegen-ttip-internes-papier-zeigt-berlins-skepsis
- Spiegel: kritischer-agrarbericht-warnt-vor-freihandelsabkommen
- Informationsdienst gentechnik zu den Verhandlungen: www.keine-gentechnik.de
- Im Januar hatte EU Handelskommissar de Gucht verkündet, er wolle die Sorgen der Bürger in Sachen “Investitionsschutzklauseln” verstehen: Das-grosse-Dilemma-des-EU-Handelskommissars.html
Sicher nicht objektiv aber trotzdem sehr informativ dazu ein Artikel mit diversen Links von Klaus Peter Krause:
das-dubiose-freihandelsabkommen-usa-eu - In Deutschland, Österreich und Italien raufen sich die Bürger zusammen und organisieren sich gegen das Abkommen. Dazu:
protest-gegen-freihandelsabkommen-ttip
umweltinstitut.org/freihandelsabkommen
stop-ttip-italia.net
Das scheint zur Folge gehabt zu haben, dass das Investor-Staats-Schiedsverfahren (das im Freihandelsabkommen mit Kanada sowieso schon abgedeckt und deshalb hier überflüssig wäre) vor einer Weiterverhandlung öffentlich beraten werden soll. - Deshalb ist es bei der am 10.3. startenden nächsten Verhandlungsrunde ausgeklammert: http://www.gtai.de >>>
- Last but not least folgende Site, die blogmässig über die Verhandlungen berichtet: ttip-unfairhandelbar.de
- TTIP-LEAKS >>>
- Petition “EU Parlament darf Handelsabkommen der EU mit USA und Kanada nicht zustimmen” >>>


Danke für die Offenheit. Um zu sehen was alles hinter den Kulissen abgeht lohnt sich die Lektüre des folgenden Buches
John Perkins: Bekenntnisse eines Economic Hit Man. Unterwegs im Dienst der Wirtschaftsmafia, München 2005, 3. Auflage
Neben knallharten Managern, die problemlos über Leichen gehen können sind an der ganzen Misäre leider viel zu viele gutmeinende Politiker beteiligt. Sie vertauen den sog. Fachleuten blind ohne Nebeneffekte und Langzeitfolgen unvoreingenommen abzuklären. Eine Korrektur ist nur möglich von Unten nach Oben. Nur so können jene welche die Suppe auslöffeln müssen Einfluss nehmen auf die Suppe.