Veröffentlichung: 26.12.11; Aktualisierung: 07.04.14
Biodiversität – die Vielfalt der Lebewesen – ist das natürliche Kapital unseres Planeten und für uns Menschen von existenzieller und essentieller Bedeutung, insbesondere für die Ernährungssicherheit.
Biodiversität erhält die Bodenfruchtbarkeit, schützt vor Bodenerosion und Überschwemmungen, bewahrt die Wasserqualität, entgiftet Toxine, hält Schädlinge in Schach und trägt zur Stabilität des Ökosystems bei.
Wenn jedoch von Biodiversität die Rede ist, meint man meistens die Vielfalt wildlebender Pflanzen und Tiere und ihre Ökosysteme. Die Agrobiodiversität, die Vielfalt der landwirtschaftlichen Kulturpflanzen und Nutztierrassen, geht dabei häufig unter. Dabei ist die Agrobiodiversität eine wichtige, wenn nicht gar die wichtigste Grundlage für eine gesunde und auch sichere Ernährung.
Die Vielfalt landwirtschaftlicher Nutzpflanzen und Nutztiere ist das Ergebnis einer Jahrhunderte langen, regional angepassten Zuchtarbeit. Viele alte Sorten und Rassen verfügen über spezielle Eigenschaften, wie beispielsweise Resistenzen gegen bestimmte Krankheiten und Schädlinge oder ein besseres Anpassungsvermögen an Klimaverhältnisse.
Aber Agrobiodiversität (ver)schwindet. Der Hauptgrund für die Abnahme von Agrobiodiversität sind die Industrialisierung der Landwirtschaft sowie die globale Vereinheitlichung der landwirtschaftlichen Produktionsverfahren.
Die Weltbevölkerung ernährt sich heute zum grössten Teil von nur zehn Kulturpflanzenarten. Die übrigen Arten – und das sind immerhin 99,6 Prozent aller essbaren Kulturpflanzen (!) – werden dagegen nur sehr geringfügig genutzt. Besonders gravierend ist diese Einschränkung der Kulturpflanzennutzung in den Industrieländern.
Ähnlich verhält es sich auch bei den Tieren: Weltweit sind im vergangenen Jahrhundert 1’000 der rund 6’400 anerkannten Nutztierrassen ausgestorben; weitere 2’000 sind akut bedroht. In Europa ist rund die Hälfte aller Anfang des 20. Jahrhunderts verbreiteten Rassen unwiederbringlich verloren.
Aber auch der Handel ist derzeit nicht auf Vielfalt eingestellt. Theoretisch könnte man in der Schweiz das ganze Jahr über Apfelsorten frisch oder aus dem Keller anbieten. Doch der Handel hat lieber wenige Sorten, um diese das ganze Jahr hindurch in gleich bleibender Qualität verkaufen zu können. Die Lagerung dieser Sorten erfolgt meist in speziellen Lagerhäusern mit hoher Luftfeuchtigkeit, sehr wenig Sauerstoff und Kohlendioxid sowie einer gleich bleibenden Temperatur von 2 bis 4 Grad. Würde die Sortenvielfalt ausgenutzt, bräuchte man nur einen einfachen Keller(!).
Weil im Handel nur wenige Sorten dominieren, bauen die Obstbauern selbstverständlich vor allem diese Sorten an, auch dann wenn sie besonders krankheitsanfällig sind. >>> Hotspot 17/08 (Biodiversität zwischen Wissen und Handeln).
Fazit: Von den 230 Tafelapfelsorten, die im Jahr 1928 in der Schweiz gezählt wurden, werden heute nur noch wenige Dutzend vermarktet, heute machen rund zwölf Apfelsorten ca. 90 Prozent des Umsatzes aus. >>> Hotspot 3/01 (Die Erhaltung der Agrobiodiversität).
Risiken (ver)schwindender Agrobiodiversität
Schon heute verursacht der Verlust von Agrobiodiversität konkrete Probleme und birgt zudem unvorhersehbare Risiken für die Zukunft. Je geringer die Vielfalt an Arten, Rassen und Sorten – und damit die genetische Vielfalt – in der Landwirtschaft ist, desto grösser ist die Gefahr von Missernten infolge von Schädlingsbefall oder Krankheitsepidemien.
AgroBiodiversität ist unser Sicherheitsnetz – also quasi unsere «Versicherungspolice». Biodiversität ist in der traditionellen Landwirtschaft oft eine Garantie für Ertrag. Gleichzeitig hängt die weltweite Ernährungssicherheit von der Biodiversität ab: Um Pflanzen zu züchten, die den Umweltanforderungen gewachsen sind (Dürreresistenz, versalzte Böden, Klimaschwankungen), ist die Züchtungsarbeit auf einen grossen Genpool angewiesen.
Dass aber der Erhalt der Agrobiodiversität nicht nur für die Natur, sondern auch für uns Menschen wichtig ist, zeigen verschiedene Studien. So wies u.a. das Institut für Nutztierwissenschaften der ETH Zürich nach, dass Alpmilch und der aus ihr produzierte Alpkäse ein besonders günstiges Fettsäuremuster aufweisen, insbesondere sind sie reich an gesunden ungesättigten Fettsäuren. Diese Fettsäuren (vor allem die Omega-3-Fettsäuren) sind wichtig u.a. für die Entwicklung des Hirns und Nervensystems.
Die Innovationen in der Landwirtschaft orientierten sich in den letzten Jahren immer mehr an der industriellen Produktion. Die Lebensmittelindustrie und der Handel bestimmen die landwirtschaftliche Produktion heute sehr stark. Äpfel in gleicher Grösse, Tomaten mit einheitlicher Festigkeit, genormte Tiere, um die Schlachtung und Weiterverarbeitung zu vereinfachen.
Weniger genormte Kulturarten werden im Wettbewerb verdrängt und verschwinden – meist für immer.
Zudem benötigt diese Standardisierung in Pflanzenbau und Tierhaltung meist auch einen hohen Einsatz an fossiler Energie, an Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, Kraftfutter, Antibiotika und Technik. Diese High-Input-Verfahren können mit erheblichen ökologischen Nebenwirkungen verbunden sein, wie Grundwasserverschmutzung, Rückstände in Lebensmitteln sowie eine Monotonisierung der Landschaft.
Der Schutz der biologischen Vielfalt generell und der Agrobiodiversität im speziellen ist eine unabdingbare Voraussetzung, damit die Ernährungssicherheit auch in Zukunft sichergestellt werden kann!
Fazit: Indem wir KonsumentInnen regionalen, ökologischen Produkten den Vorrang geben, fördern wir die biologische Vielfalt in der Schweiz und weltweit – und tun gleichzeitig auch etwas für unsere Gesundheit.
Weitere Quellen und Links zu diesem Thema:
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Landwirtschaftlicher Informationsdienst: Agrobiodiversität: Genpool der Zukunft >>>
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ProSpecieRara, Schweizerische Stiftung für die kulturhistorische und genetische Vielfalt von Pflanzen und Tieren. Projekte >>>
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Convention on Biodiversity – dazu gehört die Agricultural Biodiversity >>> mit Programmen und Sektorübergreifenden Initiativen >>>

