Veröffentlichung: 12.04.13; Aktualisierung: 25.04.14
Bio boomt – biologische Lebensmittel liegen im Trend. Der idealistische Konsument gibt viel Geld aus in der Annahme Bio sei natürlich und gesund. Mit Bio-Brot, -Milch, -Fleisch, ja sogar Biopizza locken die Grossverteiler Kunden an. Die Nische Bio wuchs zum knallharten, millionenschweren Bio-Geschäft.
Markus Lanfranchi, überzeugter Biobauer aus Verdabbio im Misox gibt Einblicke über seine Erfahrungen und Bestrebungen um eine ökologische, soziale und bäuerliche Landwirtschaft. Aber auch über seine intensiven Bemühungen und die schier unüberwindbaren Hürden, bäuerliches Erfahrungswissen der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen:
To Bio or not to Bio
Dass durch die Industrialisierung, auch der biologischen Landwirtschaft, beinahe das ganze bäuerliche Wissen um die Selbstregulierungskräfte der Natur verloren geht, ist spätestens seit der Veröffentlichung des Welt Agrarberichts bekannt.
Im Jahr 2007 machte ich, anlässlich der so genannten Zukunftskonferenz von Bio Suisse, auf die Erosion von bäuerlichem Grundwissen aufmerksam, welches zunehmend obsolet wird und in Vergessenheit gerät, durch die Verwendung von Technik, Treibstoffen, Technologie, Veterinärchemikalien und natürlich tausender von BioSuisse bewilligten Betriebsmittelliste (Hilfsstoffliste), („Verlust der Selbstbestimmung durch Wissenserosion, Bio Suisse Zukunftskonferenz 21. März 2007”). Das Problem wurde erkannt und Massnahmen in Aussicht gestellt.
Insbesondere vielfältige, kleinere und dadurch überblickbare Bauernbetriebe oder zumindest solche mit einem vernünftigen Anteil an Menschenarbeit pro Fläche (Hofgemeinschaften, urbane Gartenprojekte usw.) sind dringend darauf angewiesen, kostenfreies und natürliches Wissen zur Lösung der verschiedenen Herausforderungen der jeweiligen Betriebszweigen zu finden.
Das Knospelabel vermischt wertvolle Biolebensmittel mit industrieller Bionahrung
Der Trend, auch im Biolandbau Erfahrungswissen zu banalisieren zeichnete sich bereits 2005 ab. Daher postulierte ich zu Handen des Vorstands von BioSuisse die Förderung vielfältiger Biobetriebe um der Spezialisierung und Industrialisierung Einhalt zu gebieten.
Selbst nach einem Antrag „zur Förderung der Direktvermarktung“ den wir damals noch mit BioTicino der Delegiertenversammlung vorschlugen und mit nur einer Gegenstimme auch einen beinahe vollständigen Konsens erzielten, brachte keine Strategieänderung der strukturellen Ausrichtung biologischer Landwirtschaft in der Schweiz.
Ganz im Gegensatz zu diesen Lippenbekenntnissen liefert sich die biologische Landwirtschaft beinahe komplett der Industrie und dem Grosshandel aus. Statt das „Bestmögliche“ wurde aus Bionahrung das „wenigst Schlechteste“.
Dies ist umso tragischer, weil einerseits durchaus noch wirklich gesunde und gute Produkte mit viel Engagement hergestellt und gehandelt werden, diese jedoch mit industriellen Bioprodukten ohne ökologischen, sozialen oder sozio-kulturellem Mehrwert mittels des Logos „Knospe“ vermischt werden.
Vom Lebensentwurf zum Businessmodell
Diese neoliberalen Marktmechanismen wurden auch durch die Neubesetzung verschiedener Schlüsselpositionen innerhalb der BioSuisse gestärkt. Weil „Bio“ sich dadurch von einem Lebensentwurf zu einem Businessmodell entwickelte, unternahm ich nochmals einen Anlauf zumindest noch vorhandenes Ursprungswissen in die heutige Zeit zu retten um dieses unter heutigen Aspekten zur Anwendung zu bringen.
Einmal mehr wurde diese Aktion von vielen ernsthaften Interessenten mitgetragen. Aus der simplen Internetplattform „Teilt euer Wissen“ entwickelte sich die Idee einer Wikipedia-ähnlichen Struktur, auf welcher eine Community von Benutzern nicht nur Wissensschätze zur allgemeinen Verfügung stellt, sondern auch weiter entwickelt und der heutigen Zeit anpasst ohne jedoch in die Falle von Abhängigkeiten zu geraten.
BioSuisse war die einzig um Unterstützung angefragte Organisation, die kein Interesse an diesem Projekt bekundete, obschon heute beinahe die Hälfte des BioSuisse Budgets in PR und Werbung fliesst. Diese preist etwas an, was auf diese Weise eigentlich, wenn nicht gerade aktiv bekämpft so mindestens nicht im geringsten unterstützt wird…
Bundesamt und Bauernverband erkennen den Wert
Jedenfalls bildete sich um diese Idee eine Gruppe von Bauern und Wissenschaftern um dieses Projekt zu verwirklichen. Sowohl das Bundesamt für Landwirtschaft wie auch der Bauernverband erkannten den Wert dieses Projektes und erklärten sich bereit finanzielle Unterstützung zu leisten.
Auch seitens des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (Fibl) bekundete man Interesse an diesem wertvollen Projekt und war bereit die gesamte Internetarbeit zu übernehmen und ihre umfangreiche bäuerliche Wissensbasis „open source“ auf das geplante Internetportal zu schalten.
Beim Bauernverband ging man sogar so weit eine Verlinkung der geplanten, mit der BV-eigenen Webseite, in Betracht zu ziehen.
Angesichts dieser projektierten Vernetzung zwischen Bauernverband und Bio-Bauern war das Fibl jedoch schlagartig nicht mehr bereit sich weiter am Projekt zu beteiligen, dies obwohl gerade das Fibl eine tragende Rolle in diesem Projekt inne hatte.
Infolge dieser verschiedenen Interessen spaltete sich die Projektgruppe im Januar 2013 in zwei Teile auf und Ende März musste das Projekt „Farmers-Wiki“ in dieser Form ganz aufgegeben werden.
Was die einzelnen Protagonisten für Beweggründe hatten dieses, für den Bauernstand überlebenswichtige Projekt zu versenken, können wir höchstens erahnen. Jedenfalls wurde sowohl von BioSuisse und speziell auch vom Fibl eine sehr wichtige Gelegenheit verpasst der Diskussion um die abgedroschenen Schlagworte wie „Nachhaltigkeit“ oder „Ressourcenschonung“ mit realen Werten zu untermauern.
Die Belastungen des Erfolgs
Tatsächlich hat der Begriff „Bio“ viele Menschen bewegt. Es ist der kleinste gemeinsame Nenner einer Bewegung für eine bessere Welt. Die enormen Erwartungen aller Akteure, vom Rohkost-Veganer über die grünliberale Politikerin bis hin zum Industriebio-Manager, sind unmöglich alle zu befriedigen. Deshalb müssen wir damit leben, dass sich Ideale zuweilen weit von der Grundidee entfernen, bis sich das ganze wieder einspielt und zum Teil des Ganzen wird, wie es sich die ursprünglichen Visionäre vorstellten.
Wir verstehen uns nicht als sture Behüter der Asche unserer Traditionen, sondern als Hirten des Feuers, welches der Menschheit seit jeher das überleben auf dem Raumschiff Erde ermöglicht hat.
agrarinfo.ch als neue Heimat für bäuerliches Erfahrungswissen
Auf terrABC.org kann man neu die Wissensplattform von agrarinfo besuchen. Entscheidend ist, dass Wissen nicht bloss „konsumiert“ wird, sondern sich die Nutzer auch aktiv darum bemühen, dass Wissensschätze in all ihren Facetten hochgeladen werden.
Kommentare sind sehr willkommen, auch Fragen sollen gestellt werden!
- Ist Bio wirklich Bio und ist Bio wirklich nachhaltig? Wird es in Zukunft möglich sein die ganze Welt biologisch zu ernähren?
- Agrarwirtschaft: Der Soja-Skandal
- Ärger über Bio-Importe bei den Bauern, NZZ am Sonntag, 7.4.13
- Genmanipulierter Bio-Chicorée von einem Bio-Betrieb in den Niederlanden gefunden
Bücherhinweis:
- Der grosse Bio-Schmäh, Clemens G. Arway, ISBN 978-3-8000-7528-7 http://agrarinfo.ch/der-grosse-bio-schmah/
- Friss oder Stirb, Clemens G. Arway, ISBN 978-3-3711000309
Trailer zum Buch unter: http://cgarvay.wordpress.com/2013/03/07/friss-oder-stirb-trailer-zum-buch/nach oben



