Agrarpolitik ist furchtbar kompliziert. Aber viel zu wichtig, um ignoriert zu werden. Eine Annäherung an das Gstürm um das Agrarprogramm 2014-2017 (AP14-17).
Die Agrarpolitik (AP) prägt im ländlichen Raum massgeblich das Landschaftsbild der Schweiz. Und sie bestimmt mit, was auf unseren Tellern landet. Etwa alle fünf Jahre wird sie reformiert. Der neuste Vierjahresplan heisst AP 14–17. Angeschoben wurde der Reformschritt vom Parlament. Der Auftrag an den Bundesrat lautete: „Die Zahlungen an die Landwirtschaft sind in Zukunft konsequent auf die von der Bevölkerung gewünschten gemeinwirtschaftlichen Leistungen auszurichten.“ Gemäss Landwirtschaftsartikel 104 der Bundesverfassung, welcher 1996 auf Druck mehrer Volksinitiativen mit grossem Mehr angenommen wurde, muss der Bund dafür sorgen, „dass die Landwirtschaft durch eine nachhaltige und auf den Markt ausgerichtete Produktion einen wesentlichen Beitrag leistet zur: a. sicheren Versorgung der Bevölkerung; b. Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und zur Pflege der Kulturlandschaft; c. dezentralen Besiedlung des Landes“.
Um dies zu erreichen, leisten wir uns die teuerste Landwirtschaft der Welt: 13,83 Milliarden Franken für die Jahre 2014 bis 2017. Diese teilen sich wie folgt auf:
– Grundlagenverbesserung und Sozialmassnahmen: 798 Millionen Franken
– Produktion und Absatz: 1 776 Millionen Franken
– Direktzahlungen: 11 256 Millionen Franken
„Die bessere Zielausrichtung der Direktzahlungen führt zu einer ökologischeren und standortgerechteren Produktion und zu einer Aufwertung der Kulturlandschaft“, schreibt das Bundesamt für Landwirtschaft (BWL) auf Anfrage. „Mit der AP 14-17 wird die Qualitätsstrategie der Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft gestärkt.“
Kritik von allen Seiten
Die AP 14-17 sei ein typisch schweizerischer Kompromiss, schreibt die WOZ: „Niemand ist damit zufrieden.“ Der Schweizer Bauernverband (SBV) moniert vor allem den erhöhten administrativen Aufwand. Zudem brächten die Änderungen „keine Verbesserung der unbefriedigenden Einkommenssituation der bäuerlichen Familien“. Das von einigen kleinen Organisationen und zwei Sektionen der bäuerlichen Gewerkschaft Uniterre ergriffene Referendum unterstützt der SBV aber nicht. Er zieht es vor, sich „in der Vernehmlassung zu den Verordnungen zu engagieren und sich in der nächsten Reformrunde verstärkt einzubringen und so die Waage wieder ins Gleichgewicht zu bringen“.
Dann sei es zu spät, sagt Gemüsebauer Rudi Berli von Uniterre Genf, Mitinitiator des Referendums. „Die Weichen werden jetzt gestellt.“ Die AP 14-17 sei eine Mogelpackung, so Berli. „Die ökologischen Zielsetzungen im Bereich Tierschutz, Biodiversität und Ressourceneffizienz sind schon Teil der bestehenden AP. Das Neue ist die Entkoppelung dieser Leistungen von der Produktion.“ Es gehe dem Bundesrat um WTO-Verträglichkeit. Der Grenzschutz werde sektorenübergreifend weiter aufgelöst. Weiter steigende Importe seien die Folge und damit die Abhängigkeit von „unberechenbaren internationalen Märkten“. Angesichts der Rohstoff-, Klima- und Bevölkerungsentwicklung sei die Ernährungssicherheit stark gefährdet.
Was essen wir in Krisenzeiten?
Dies ist einer der Hauptkritikpunkte an der AP 14-17: Der Selbstversorgungsgrad, bereits der tiefste in Europa, werde noch weiter abgebaut. Auch der SVB erwartet, dass die einheimische Produktion von Lebensmitteln sinken wird. Die Weiterentwicklung der Direktzahlungen zugunsten extensiver Produktionsmassnahmen mache aus den Bauern Landschaftsgärtner und/oder Unternehmer.
„Wir nehmen den Bauern keine Produktionsfläche weg“, lässt hingegen das BWL verlauten. „Die extensiv bewirtschafteten Ökoflächen bleiben im heutigen Umfang bestehen und werden zu Gunsten der Artenvielfalt aufgewertet.“ Die AP 14-17 führe nicht zu einer Extensivierung, sondern zu einer ökologischen Intensivierung. Die Ernährungssicherheit werde sogar erhöht.
Das meint auch Andreas Bosshard von der Fachorganisation Vision Landwirtschaft: „Die Schweizer Bauern werden netto mindestens gleich viel produzieren, nur effizienter und umweltfreundlicher.“ Er weist darauf hin, dass die teilweise überintensive Produktion die Produktionskapazität vieler Böden nachweislich geschädigt und die Schweizer Landwirtschaft stark von Importen an Energie und Futtermittel abhängig gemacht habe. „Ein moderater Rückgang der Intensität auf ein nachhaltiges Niveau macht die Böden fruchtbarer und stärkt die Versorgungssicherheit in Krisenzeiten.“
Bewusste Spaltung der Bauern
Die einen sagen dies, die anderen das Gegenteil. Das ist kein Zufall, meint der Zürcher Biobauer und Kantonsrat (Grüne) Urs Hans: „Die AP 14-17 spaltet uns Bauern bewusst.“ Sie sei so angelegt, dass es Gewinner und Verlierer gebe. Profiteure dieses undurchsichtigen Spiels seien eine wuchernde Bürokratie, Beratungsfirmen und Planungsbüros.
Sicher, die AP 14–17 ist widersprüchlich: Sie soll den Ackerbau fördern, senkt aber die Zölle auf Brotgetreide; sie stärkt das Tierwohl, indem sie die Weidehaltung von Mutterkühen und Mastkälbern mehr belohnt, erhöht aber gleichzeitig die Höchstbestände in der Masthühnerhaltung auf 27 000 Tiere pro Betrieb. Sicher, die AP 14-17 beinhaltet einen Systemwechsel: Die Verschiebung der Direktzahlungen von der Lebensmittelproduktion hin zu Umweltdienstleistungen.
Aber: Den dringend notwendigen Paradigmenwechsel bedeutet das komplex aufgebaute Reformkonzept mit all seinen spektakulären Änderungsvorschlägen nicht. „Es verharrt nach wie vor im Geiste einer störungsfreien Wachstumswirtschaft“, sagt Hans Bieri, Präsident und Geschäftsführer der Schweizerischen Vereinigung Industrie und Landwirtschaft (SVIL). Eine Reform zu einer tatsächlich ökologischen und nachhaltigen Wirtschaft müsse aber in erster Linie beim überlebten Wachstumsparadigma ansetzen. Zudem brauche es eine neue Kooperation zwischen Konsumenten und Landwirtschaft. Davon müsse jedes Bemühen nach einem ökologischeren Konsum ausgehen. Aber dieser Aspekt bleibe „in der AP 14-17 zugunsten des Agrarfreihandels einseitig und geradezu akribisch ausgespart“.
Eine verworrene Geschichte. Nur eines ist klar: egal ob das Referendum zustande kommt oder nicht – die Schweiz braucht eine Diskussion zur Zukunft der Landwirtschaft. Die „Tierwelt“ bleibt dran.
Infobox zum Referendum:
Die Referendumsfrist läuft am 13. Juli ab. Für das Zustandekommen des Referendums sind wie immer mindestens 50’000 Unterschriften nötig. Bei Ablehnung des Referendums tritt die AP 14-17 voraussichtlich Anfang 2014 in Kraft.
Stellungnahmen zur AP 14-17:
Hans Bieri, Schweizerische Vereinigung Industrie und Landwirtschaft SVIL:
„Die bisherige landwirtschaftliche Lebensmittelproduktion durch vermehrt nichtlandwirtschaftliche Einkommen im Bereich Umwelt-, Erholungs- und Parkdienstleistungen schrittweise zu ersetzen, ist verfassungswidrig. Die eigene Landwirtschaft wird so entgegen dem Gebot der Ernährungssicherheit und der anzustrebenden Versorgung aus der Nähe deutlich extensiviert, was den Import erhöht. Das nützt dem Agrarfreihandel und ersetzt schliesslich die Landwirtschaft durch die Landschaftspflege. Der bisher durch Raumplanung und Bodenrecht blockierte Komplementärraum könnte so endlich – dem Druck des Citystate Schweiz nachgebend – für die ungestörte Immobilienentwicklung geöffnet werden.“
Francis Egger, Leiter Wirtschaft, Bildung und Internationales beim SVB:
„Die vorgesehenen Änderungen der gesetzlichen Grundlagen bringen keine ausreichenden Lösungen für die Probleme in der Landwirtschaft. Sie bringen vor allem keine Verbesserung der unbefriedigenden Einkommenssituation der bäuerlichen Familien. Der SBV bedauert besonders, dass die Änderungen den administrativen Aufwand erhöhen. Zudem müssen die Bauern deutlich mehr leisten, um die aktuellen Direktzahlungen zu behalten. Die Landwirtschaft wird extensiver. Dem gegenüber begrüsst der SBV gewisse Verbesserungen, wie zum Beispiel die Einführung des Prinzips der Ernährungssouveränität, die Verlängerung des Gentech-Moratoriums und den leicht höheren Rahmenkredit.
Bundesamt für Landwirtschaft BWL:
„Die Direktzahlungen werden wirkungsvoller und effizienter eingesetzt, so dass Produktion, ökologische Leistungen und auch bäuerliche Einkommen synchron gesteigert werden. Unerwünschte Anreize zur Intensivierung wie beispielsweise die Tierbeiträge werden eliminiert. Im Gegenzug werden Ressourcen schonende Produktionsformen stärker unterstützt. Das führt zu mehr Ökologie. Und zwar nicht auf Kosten, sondern im Einklang mit der Produktion. Auf der gleichen Fläche wird künftig gleich viel wie vorher produziert aber mit weniger Nährstoffverlusten und tieferem Energieeinsatz.“
Rudi Berli, Genfer Sektion der Bauerngewerkschaft Uniterre:
Die AP 14-17 wird der Schweizer Bevölkerung als ökologische, nachhaltige Landwirtschaftspolitik verkauft und schmackhaft gemacht. Leider ist das eine Mogelpackung. Es sind die Rahmenbedingungen des Marktes, die es dem Bauern ermöglichen aus der Produktion ein Einkommen zu erwirtschaften. Doch genau da entziehen sich unsere Politiker der Verantwortung und verschanzen sich hinter den Freihandelsverträgen. Es gibt in der AP 14-17 keine Massnahmen, welche die Produzenten auf dem Markt stärken und die direkten Beziehungen und Bestimmungsmöglichkeiten zwischen Konsumenten und Produzenten fördern. Es kann keine ökologische Nachhaltigkeit ohne wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit geben.“
Andreas Bosshard, Biobauer und Geschäftsführer von Vision Landwirtschaft VL:
„Die Landwirtschaft wird besser auf die Verfassungsziele ausgerichtet – ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Nicht nur die Umwelt kann davon stark profitieren, sondern auch die Bauern selber. Wie ist das möglich? Die Anreize für die bisher oft (zu) intensive Produktion fallen teilweise weg. Dadurch sinken die hohen Produktionskosten, verursacht durch zu viele teure Importe an Energie, Futtermitteln, Pestiziden etc.. Dank geringerer Importe wird unter dem Strich weiterhin gleich viel produziert wie heute (Netto-Produktion), nur kostengünstiger und umweltfreundlicher.
Die Reform der AP 14-17 ist sehr moderat. Wie eine Studie zeigte, die der Bund selber erstellt hat, würden mit einer konsequenteren Reform die agrarpolitischen Ziele besser erreicht und das Einkommen der Bauern höher ausfallen. Aber die Umstellungen brauchen Zeit, und man kann nicht alle Probleme auf einen Schlag lösen.“
Dieser Artikel wurde in der Tierwelt vom 20.6.2013 publiziert.

