Grundsätzliches
Warum wird die Landwirtschaft durch einen Mix aus Protektionismus und Produktionsförderung stärker als andere Wirtschaftsbereiche von der Politik revidiert, gelenkt und subventioniert?
Die bäuerliche Landwirtschaft ist bekanntlich wegen ihrer Ressourcen-, Wetter- und Zyklusabhängigkeit nicht mit einem industrialisierten, gewinnorientierten Unternehmen vergleichbar. Sie kann mit der „normalen“ Wirtschaft nicht mithalten. Müsste sie ungeschützt nach dem Prinzip des freien Marktes funktionieren, kann die Versorgung der Bevölkerung, vor allem in Kriegs- und Krisenzeiten, nicht sicher und zuverlässig gewährleistet werden. Das war schon vor 100 Jahren in der Schweiz das Problem: Durch den ersten Weltkrieg brach der freie Markt zusammen, man musste also die eigene Landwirtschaft optimieren, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen (1) – und das ist heute noch so (z.B. 2014 in Russland (2)).
Doch wie genau die Landwirtschaft geschützt, gefördert und modernisiert wird, hängt stark von der Grösse der Volkswirtschaft, den jeweiligen politischen Kräfteverhältnissen und der Macht der oft mehr am Freihandel interessierten Saatgut- und Lebensmittelfirmen ab.
Grundsätzliches zur EU Agrarpolitik
In der EU werden die Erhaltung der Landwirtschaft und die Sicherung der Versorgung sowohl an den Massstäben der industriell-gewerblichen Produktion als auch am Weltagrarmarkt ausgerichtet. Hierfür muss aus dem Landwirt allerdings ein Unternehmer werden, denn für kleinbäuerliche Betriebe mit traditionellen Produktionsweisen und der Kreislauf-Wirtschaft ist kein Platz, es sei denn sie werden zu spezialisierten Produktionsstätten, die im Prinzip genauso funktionieren wie Industrieunternehmen.
Genau dies wäre die Aufgabe der EU Agrarpolitik: Zu helfen, Strukturwandel möglichst geregelt durchzuführen, aber die entstehenden Härten abzufedern und die grössten Umweltschäden abzuwehren.
Kontinuität und Entwicklung der EU Agrarpolitik
Nach dem zweiten Weltkrieg waren grosse Teile der Landwirtschaft zerstört.
Als 1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG gegründet wurde, ging es auch darum, die Land- und Nahrungswirtschaft gemeinsam zu stärken und die Bevölkerung mit preiswerten Nahrungsmitteln in ausreichenden Mengen zu versorgen.

Die gemeinsame Agrarpolitik; Zusammenfassender Bericht über die ersten, von der EWG Komission ausgearbeiteten Vorschläge.
Wandel in 5 Phasen
Das grundsätzliche Ziel war von Anfang an, aus dem bäuerlichen Familienbetrieb „in einer harmonischen Entwicklung“ eine profitabel wirtschaftende Produktionsstätte zu machen. Wobei o.g. Schrift sogar ausführt: „Die landwirtschaftlichen Erwerbstätigen können dann zum Teil zu anderen Beschäftigungen übergehen, die ihnen ein besseres Einkommen ermöglichen, ohne dass sie ihren Herkunftsort verlassen müssen.“ (Seite 10 f.).
1. Phase, ab 1957 (der Gründung der EWG) bis in die 60er Jahre
Damals ging es in der gesamten Wirtschaft um eine Steigerung der Produktivität. Überall wurde modernisiert, intensiviert, rationalisiert und mechanisiert. Und wenn auch klar war, dass damit in der Landwirtschaft Arbeitsplätze verloren gehen, war es verpönt, nicht die modernsten Maschinen anzuschaffen oder nicht die modernsten Düngemittel zu verwenden. „Geringere Erlöse pro Kopf zeigen an, daß zuviel Personen in der Landwirtschaft tätig sind und geben gleichzeitig den Impuls für Änderungen der landwirtschaftlichen Struktur. Dieser Impuls führt also einerseits zu einer Abwanderung der überschüssigen Arbeitskräfte und verstärkt andererseits die Überlegungen, wie die Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe so verändert werden kann, daß sie der neuen Situation entspricht.“

Wie kann sich der Bauer in der modernen Industriegesellschaft und im gemeinsamen Markt behaupten? Vortrag von Wolfgang Frickhöffer, gehalten im Dez 1957.
Ein hoher Aussenschutz, Mindesterzeugerpreise (der sogenannte Interventionspreis (3) garantierte ein im Verhältnis zum Weltmarkt relativ hohes und stabiles Erzeugerpreisniveau), teils staatliche Aufkäufe zur Preisstützung und Exportsubventionen sollten den Agrarsektor der EWG stärken (4) und das politische Europa vom Importeur zum Exporteur wandeln.
Es wurde modernisiert und investiert. Die Produktivität wurde gesteigert und die Anzahl der Beschäftigten ging zurück. Das bäuerliche Einkommen bestand in dieser Zeit nahezu vollständig aus Erlösen, die die Landwirte auf dem Markt erzielten.
Dass die Preise auf dem Weltmarkt rund um die EWG sehr viel niedriger waren als im geschützten EWG-Binnenmarkt mit seinen hochgehaltenen Erzeugerpreisen, davon spürten die Bauern nichts und produzierten gut bezahlt Überschüsse. Der übermässige Düngereinsatz führte ausserdem zu Umweltproblemen.
Der Staat kaufte Berge aus Getreide und Butter und Seen aus Milch – zu den selber festgelegten und hoch gehaltenen Preisen. Das Problem war, dass diese teuer produzierten und bezahlten Überschüsse aber nur zu Weltmarktpreisen exportiert werden konnten. Die Stützung der lokalen Produktion wurde zur Exportsubvention. Das führte zu Unmut.
Phase 2: 70er Jahre
Also intervenierte die Politik erneut, diesmal mit mengenbegrenzenden Quoten: Die Milchquote zum Beispiel wurde installiert in der Hoffnung, durch ein begrenztes Angebot die Erzeugerpreise stabil zu halten und so die (staatlichen) Kosten zu reduzieren. Währenddessen schritt der Strukturwandel fort: Weitere Arbeitsplätze wurden abgebaut als Teil des konsequenten Übergangs von einer Agrar- zu einer Industrie- bzw. Dienstleistungsgesellschaft.
Nun wurde die von Anfang an avisierte internationale Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft öffentlich zum politischen Ziel erklärt. Statt Überschüsse auf dem Weltmarkt zu „entsorgen“, sollte dieser nun erobert werden. Die EWG sollte fortan Agrarexporteur werden.
Phase 3: 80er und 90er Jahre
Der starke Protektionismus hatte in Europa genauso wie in Amerika die radikale Modernisierung der Landwirtschaft ermöglicht, aber die produzierten Überschüsse mussten auf dem Weltmarkt zu Preisen verkauft werden, die von Angebot und Nachfrage bestimmt sind. Steigende Überschüsse bedeuten sinkende Weltmarkt-Preise … ein Teufelskreis.
Ab 1986 (Beginn der Uruguay-Runde der GATT-Staaten (5)) versuchten die Konkurrenten, ihren kostspieligen Protektionismus ab- bzw. umzubauen, den Agrarmarkt zu liberalisieren und die eigene Landwirtschaft der freien Konkurrenz auf dem Weltmarkt auszusetzen. 1992 kam mit dem Blair House Abkommen zwischen den USA und der EU (6) und mit der MacSharry-Reform (7) eine Kehrtwende in der Agrarpolitik: weltmarktstörende Preisunterstützungen und Exportsubventionen wurden heruntergefahren und an ihre Stelle traten Direktzahlungen, staatlich geförderte Umweltprogramme u.ä. (8). Aus bäuerlichen Betrieben sollten ja wettbewerbsfähige Unternehmen mit marktwirtschaftlichem und umwelt- und naturverträglichem Verhalten werden.
Das WTO-Agreement on Agriculture (9) brachte 1995 den Agrarfreihandel (10). Anfangs waren die Direktzahlungen (DZ) an bestimmte Produkte gekoppelt. Getreide, Mais und Raps wurden gefördert, Kartoffeln oder Obst aber nicht. Die Intensität der Produktion spielte keine Rolle, sondern nur die Grösse des Betriebs – je mehr Fläche jemand bewirtschaftete oder je mehr Tiere er hielt, desto mehr Geld erhielt er.
Die Einführung dieses DZ-Systems war nicht Ausdruck einer bauernfreundlichen Haltung der EU, sondern Teil der Durchsetzung dieser marktliberalen Strategie mit niedrigen landwirtschaftlichen Erzeugerpreisen. Doch die Folge davon war, dass viele der in Europa hergestellten Nahrungsmittel so billig wurden, dass sie auch ohne Exportsubventionen in den Entwicklungs- und Schwellenländern billiger angeboten werden können als die Erzeugungen der dortigen Bauern.
Phase 4: Um die Jahrtausendwende
GAP-Reform, Agenda 2000 (11) mit dem Leitbild Multifunktionalität. Laut WTO-Abkommen verpflichtete sich die EU, die handelsverzerrenden Stützungsmassnahmen zu reduzieren. Dazu musste sie ihr Subventionsprogramm anpassen: Die Direktzahlungen wurden von der Produktion „entkoppelt“ und an die Einhaltung von Cross-Compliance Standards gebunden, d.h. Verpflichtungen für Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanzen und die Erhaltung eines guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustandes der Flächen (12).
Die Umweltverbände hatten gehofft, dass dieses neue System zu einer Extensivierung der Produktion führen würde, da sich bei einem niedrigen Marktpreis ein hoher Input umweltschädlicher Betriebsmittel nicht lohnt. Aber das Gegenteil trat ein: Man versuchte, den durch die niedrigen Erzeugerpreise bedingten Einkommensverlust durch Mehrproduktion zu kompensieren. Wie katastrophal die Folgen davon sein können, sieht man z.B. auf dem Schweizer Milchmarkt seit Aufhebung der Milchkontingentierung: Die Milchbetriebe haben einen relativ hohen Einkommensanteil vom Produkt. Wenn jedoch der Milchpreis sinkt versuchen sie, mehr zu produzieren. Doch wenn das alle machen, steigt die Menge und der Preis sinkt noch mehr. Im Prinzip handelt jeder Betrieb rational, nur das Ganze wird dann irrational (13).
Phase 5: Aktuell
Jetzt soll die GAP (Gemeinsame Agrarpolitik) grüner und gerechter werden. Wie genau dem Umweltschutz größeren Stellenwert eingeräumt, die EU-Fördermittel gerechter verteilt und den Landwirten geholfen werden soll, besser mit den Herausforderungen des Marktes zurechtzukommen, wird in den einzelnen Mitgliedstaaten noch diskutiert. Beschlossen und klar ist das Ende der Produktionsmengensteuerung: mit der Milchquote ist 2015 Schluss, die Zuckerquote soll 2017 enden. Ab dann müssen sich die Produzenten auf dem Weltmarkt bewähren und nach Marktsignalen funktionieren.
Dacian Cioloș, EU-Agrarkommissar von 2010-2014, setzte sich dafür ein, dass Fördergelder an bestimmte Auflagen aus dem Umweltbereich gekoppelt werden sollen (15). Das wurde in den Verhandlungen leider so zurechtgestutzt, dass nichts relevantes davon übrig bleibt. Dafür wurden die DZ an bestimmte Auflagen bezüglich Anbaudiversifizierung und Flächennutzung gebunden. Das Einhalten einer Fruchtfolge ist zwar eine bäuerliche Selbstverständlichkeit, aber im System der industrialisierten Landwirtschaft orientieren sich die Bauern „nach dem Markt“. Da ist jetzt Bioenergie der grosse Renner, also folgt Mais auf Mais auf Mais auf Mais … So lange schon und so viel und so heftig, bis die EU Kommission sagen muss, also Leute, das geht nun auch nicht, ihr müsst schon ein gewisses Mass an Fruchtfolge einhalten, damit ihr auch in Zukunft Direktzahlungen bekommt.
Wie weiter?
Der vor 57 Jahren 1957 bei der Gründung der EWG geplante Spagat zwischen sicherer Ernährung und Internationalem Handel erwies sich als unmöglich, der Druck der Wachstumswirtschaft zu gross … Trotzdem wird in der jetzigen GAP Reform der Konkurrenzdruck noch erhöht.
Während z.B. in den USA mit kosmetischer Umbenennung die WTO-Verträge umgangen werden sollen (16), scheinen sich die EU und die Schweiz vollständig dem Weltmarkt stellen zu wollen: ab 2015 kommt es in der EU mit der Abschaffung der o.g. Milchquote zu einer völligen Liberalisierung des Milchmarktes.
Das bedeutet noch tiefere Preise … noch mehr Hofaufgaben … noch intensivere Produktion auf den verbleibenden beschränkten Anbauflächen …
Weitere Links:
- Landwirtschaft: Eine Partnerschaft zwischen Europa und den Landwirten – Broschüre über die Gemeinsame Agrarpolitik der EU, erschienen in der Reihe “die EU erklärt” der Europäischen Kommission >>>
- Ökologische Vorrangflächen – unverzichtbar für die biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft! Positionspapier des Bundesamt für Naturschutz (D), 2014 >>>
- Gemeinsame Agrarpolitik nach 2013: Was ändert >>>
- Landwirtschaft im EU-Budget >>>
- Die EU-Agrarpolitik, erklärt von der EU-Koordinationsstelle des Deutschen Naturschutzrings DNR >>>
- Alles über die Gemeinsame Agrarpolitik der EU auf wikipedia (deutsch) >>>
- Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU auf wikipedia (Englische Version) >>>

