logo

Gefährliche Giftcocktails

Ob im Wasser, der Luft oder in der Nahrung: Überall werden gefährliche Coctails aus zum Teil hochgiftigen Pestiziden nachgewiesen. Doch bei ihrer Bewilligungspraxis ignorieren die Behörden sträflich das Gefahrenpotential der Schadstoffakkumulation.

Angeblich ist ein Glas Rotwein, eine Flasche Bier oder ein Pastis pro Tag unbedenklich, ja sogar gesund. Trotzdem wird wohl kaum jemand auf die Idee kommen, direkt nach den Feiertagen seine Leberwerte messen zu lassen. Auch bei gemässigtem Alkoholkonsum hat man im Verlauf eines mehrgängigen Weihnachtsmenues, mit den jeweils passenden Getränken, nicht nur gehörig Einen sitzen, sondern sich auch einen Alkoholmix verabreicht,  einen Cocktail, der die empfohlene Menge bei weitem überschreitet.

Ähnlich verhält es sich mit Pestiziden, Herbiziden und anderen Umweltgiften. Nur dass wir kaum Einfluss darauf haben, welchen Giftcocktail wir uns täglich einverleiben. Zwar gibt es für (fast) alle Pestizide, Herbizide, Abgase und Chemikalien die in die Umwelt entweichen vomEs Bundesamt für Umweltschutz Grenzwerte. Diese beziehen sich jedoch nur auf jeweils einzelne Stoffe. Über die Folgen der Wechselwirkung und Akkumulation solcher Giftstoffe ist noch sehr wenig bekannt. Einig sind sich alle Experten einzig darin: Das KANN nicht gut sein.

  • 145 Pestizide im Wasser

    Die Schweizer Landwirtschaft versprüht rund 2050 Tonnen Pflanzenschutzmittel pro Jahr. Das erklärte Ziel des Bundes die Menge auf 1500 Tonnen zu reduzieren. Die konventionelle Landwirtschaft kauft (BLW) zwar weniger Pflanzenschutzmittel als vor 10 Jahren, der gesamte Verkauf aber scheint in der gleichen Zeit um 41% zugenommen zu haben und weiter zu steigen – trotz „Aktionsplan“.  Eine Grosse Menge der Pestizide landet schliesslich ins Wasser. Das  Wasserforschungsinstitut EAWAG wies auf tausenden von Kilometern Bachlänge im Mittelland nicht weniger als 145 verschiedene Pestizide nach – pro Standort zwischen 71 und 89 Wirkstoffe.

    Dabei werden nicht nur Schädlinge (oder was man momentan noch dafür hält) ausgemerzt. Nützliche Mikroben, Bienen und andere Insekten, ökologisch wertvolle Pflanzen, Reptilien, Lurche und Fische fallen den Chemikalien ebenso zum Opfer.

  • Grenzwerte von 66 Stoffen überschritten

    Im Schweizer Mittelland überschreitet die Belastung der Fliessgewässer mit Pestiziden auf vielen tausend Kilometern Bachlänge sowohl die gültigen Grenzwerte wie auch risikobasierte Umweltqualitätskriterien. Die Grenzwerte wurden bei 66 Stoffen einmal oder mehrmals überschritten.

    Eigentlich eine ungesetzliche Situation. Laut Wasserschutzverordnung sollten langlebige, künstliche Stoffe im Grundwasser grundsätzlich nicht vorkommen (80 % unseres Trinkwassers stammt aus Grundwasser, 20% aus Seen). Trotzdem treten laut Bundesamt für Umwelt (BAFU), Rückstände von Pestiziden und deren Abbauprodukten landesweit an mehr als 50% der Messstellen im Grundwasser auftreten. In ackerbaulich intensiv genutzten Gebieten sogar an über 90% der Messstellen.

  • Behörden ignorieren Giftcocktails

    Laut Baskut Tuncak, Sonderberichterstatter für giftige Stoffe beim UNO-Menschenrechtsrat ist eben insbesondere beunruhigend, «dass mehrere chemische Belastungen zusammenkommen und miteinander interagieren, was Auswirkungen auf die Gesundheit hat.» Laut dem Jahresbericht des Chemischen Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart waren über Tausend Gemüseproben aus Deutschland, EU- und Drittländern belastet sind. Insbesondere Blattgemüse wie Salate und Kräuter seien stark und mehrfach belastet. Eine Korianderprobe wies nicht weniger als 27 verschiedene Giftstoffe auf. Beim Einsatz verschiedener Wirkstoffe entstehen sogenannte Mehrfachrückstände. In Kombination können sich die Stoffe gegenseitig beeinflussen. Die gesundheitsschädliche Wirkung der Mittel kann sich dadurch noch verstärken oder es können völlig neue Effekte ausgelöst werden. Doch solche Kombinationseffekte werden bei Bewertungs- und Zulassungsverfahren durch die Behörden fahrlässigerweise nicht berücksichtigt.

  • Keine sichere Verwendung von Pestiziden

    Es sei, so Tuncak, eine Tatsache, dass dass Chemikalien bei immer niedrigerer Exposition im Laufe der Zeit immer gefährlicher werden. «Gesundheitstrends, die von abnehmenden Spermienzahlen bis hin zu steigenden Brustkrebsraten reichen, werden zunehmend mit der Exposition gegenüber diesen Chemikalien im Kindesalter in Verbindung gebracht.» 

    Das Konzept der «sicheren Verwendung» von Pestiziden ist für Tuncak  «eine schöne Industriegeschichte, die sich einfach nicht auf viele Arten von Stoffen anwenden lässt».

  • Giftcocktail auch in der Luft

    Viele Agrochemieunternehmen Unternehmen haben sich seit Jahren verpflichtet, die gefährlichsten Pestizide aufzugeben, was gemäss der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) durchaus möglich wäre. Doch tatsächlich scheint ihr Einsatz  weiter zu steigen.

    Und die landen keineswegs nur im Wasser. Zwei neuere Studien (AGRARINFO berichtete) zeigen, dass sich Pestizide viel weiter als bisher angenommen durch die Luft verbreiten und damit zum Beispiel auch den Bioanbau oder Ausgleichsflächen schädigen.  Das Münchner Umweltamt wies nach, dass sich  Pestizide viel weiter als bisher angenommen durch die Luft verbreiten. In direkt an die Schweiz grenzende Region Vischgau sind Mensch und Umwelt über Monate dauerhaft Pestiziden ausgesetzt, das “Wunder von Mals” scheint weit entfernt.  Manche der Gifte verbreiten sich Kilometerweit bis in eine Höhe von 1›600 Höhenmetern in die Seitentäler. Darunter auch Neonicotinoid, das schon in winzigen Mengen eine Biene tötet. Ferner fand das Institut auf einer BIO-Apfelplantage verschiedene giftige Stoffe, die in Kombination auf Honigbienen viel giftiger wirken als einzeln.

    Solchen Akkumulationseffekten ist mit der gebräuchlichen Bewilligungspraxis in der Schweiz und Europa nicht beizukommen. Der einzige Weg ist und bleibt der Verzicht auf synthetische Pestizide, Herbizide und Fungizide.

Weiterführende Links:

  • Der Verkauf von Pflanzenschutzmitteln, gemessen in “Wirkstoff in Tonnen” nahm von 2008 – 2018 um 41.6% zu.Aktionsplan Pflanzenschutzmittel:  Offizielle Seite des Bundesamtes für Landwirtschaft

    Verkauf von Pflanzenschutzmitteln in der Schweiz  (c) OFAG

  • Aktionsplan Pflanzenschutzmittel im Agrarbericht 2019:
  • Neonicotinoide:  Bio Suisse will ein Verbot.  Artikel im Schweizer Bauer  
  • EAWAG: zu viele Pflanzenschutzmittel in kleinen Bächen
  • NZZ: Pestizidrückstände auf Spielplätzen gefunden; den Malansern stinkts
  • Umweltinstitut München:  Das Wunder von Mals (Vischgau), Richtigstellung
Print Friendly, PDF & Email

Ihr Kommentar

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.