Artikel von Angelika Hilbeck und Hartmut Meyer, erschienen in der Zeit-online, hier publiziert mit der freundlichen Genehmigung von Frau Dr. Hilbeck, Agrarökologin und Forscherin an der ETH Zürich:
Die Risikoabschätzung gentechnisch veränderter Pflanzen ist unzureichend
In der Grünen Gentechnik beginnen Fragen zur Sicherheit, wo Entwickler-Interessen aufhören. Es reicht nicht, gentechnisch veränderte Pflanzen wie Chemikalien zu testen.
Der Diskurs um die Agrar-Gentechnik betrifft auch die Frage, wie wir bei der Gestaltung technischen Fortschritts aus den Fehlern vergangener Technologieeinführungen lernen wollen. Alle Säulen, auf denen gesellschaftliches Gedeihen beruht – Ökonomie/Finanzwirtschaft, Umwelt, Gesundheit/Ernährung, Politik, Frieden – sind heute in der Krise, deshalb mehren sich die Rufe nach einem Ende des “Weiter so”. “Business as usual is no longer an option”, stellt zum Beispiel der Weltagrarbericht von 2008 fest, oder im Hauptgutachten 2011 des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) wird nicht weniger als eine “Große Transformation” unserer Gesellschaft gefordert.
Wenn bei einem solchen Paradigmenwechsel Rollen, Kapital und Macht neu verteilt werden, dann muss in einer Demokratie um die besten Konzepte gestritten werden. Auf dem Gebiet der Nahrungsmittelherstellung ist es schlicht historischer Zufall, dass der exemplarische Diskurs die Einführung der Gentechnik traf – die außer ihren Entwicklern und der Industrie in Europa niemand wirklich will.
Das Potenzial der Gentechnik zur Transformation der Produktions-, aber auch der Abhängigkeitsverhältnisse in der Landwirtschaft ist unbestritten. Uneinigkeit herrscht aber bei der Bewertung, wie tief und wie irreversibel sie in die Evolution eingreift und wie hoch ihre gesundheitlichen und ökologischen Risiken sind. Ja, selbst die Frage ist kontrovers, mit welchen Methoden diese Risiken abzuschätzen sind. Die Frontlinien dieser Debatte wollen wir als Beispiel für das alte und das neue Paradigma beschreiben.
Wie schätzt man ein Risiko ab?
Derzeit wird eine gentechnisch veränderte Nutzpflanze in zwei Einheiten unterteilt: die bekannte Maispflanze und das neue transgene Element; beim in der EU zum Anbau zugelassenen Bt-Mais Mon 810 der Firma Monsanto zum Beispiel ist es das Insektengift auf Basis des Bacillus thuringensis (Bt), das in allen Pflanzenteilen während der gesamten Lebensdauer produziert wird.
Die ursprüngliche Maispflanze wird aufgrund jahrhundertelanger Erfahrung als grundsätzlich sicher eingestuft, sie muss keine konkreten Risikotests mehr durchlaufen. Etwas genauer untersucht man die hinzugefügte neuartige Substanz, und zwar eng angelehnt an die Prüfung synthetischer Insektizide. In direkten Fütterungsstudien wird vor allem die akute Toxizität mit den mikrobiell hergestellten Bt Toxinen an standardisierten Labororganismen wie Springschwänzen, Marienkäfern oder Honigbienen getestet. Wenn trotz hoher Dosen kein signifikanter Unterschied zwischen Bt-Toxin Futter und der Kontrolle beobachtet wird, gilt die Substanz als ausreichend sicher. Bei solchen rein toxikologischen Tests bleibt es dann. Das gesamte transgene Pflanzenmaterial aber, das tatsächlich auf den Feldern wachsen oder in die Nahrung gelangen soll, wird kaum auf seine ökologischen und gesundheitlichen Risiken geprüft.
Zur Bestätigung der Unbedenklichkeit, aber hauptsächlich um zu überprüfen, ob die Pflanze als Futtermittel ähnlich gute Ergebnisse wie herkömmliche Produkte erbringt, lassen die Antragsteller in der Regel eine vergleichende Fütterungsstudie mit Hühnern, Ratten oder Mäusen durchführen. Eine echte wissenschaftlich robuste Überprüfung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit stellen aber auch diese Studien nicht dar. Gentechnisch veränderte Pflanzen, die keine neuartigen Substanzen produzieren (etwa die herbizidresistenten oder stärkeveränderten Pflanzen) kommen mit noch weniger bis gar keinen experimentellen, gesundheits- und umweltrelevanten Prüfungen auf den Markt.
Im Großen und Ganzen wird die Sicherheit von gentechnisch veränderten Pflanzen auf eine Beurteilung dessen zurückgeführt, was aus der Literatur bekannt ist und theoretisch abgeleitet wird. So wird zum Beispiel mittels eines Datenbankabgleiches abgeklärt, ob die hinzugefügten neuartigen Substanzen bekannten Allergenen ähneln. Unbekannte Allergene kann man so jedoch nicht erfassen. Ebenfalls nicht erfasst werden Veränderungen, die durch die gentechnische Modifikation ungeplant ausgelöst werden könnten.
Gerne führen die Entwickler die in der Regel deutlich umfassenderen Ergebnisse zur molekularen Charakterisierung der gentechnisch veränderten Pflanze als ‘Sicherheitsabklärungen’ ins Feld. Dabei handelt es sich aber im Wesentlichen um Produktbeschreibungen, um den gewünschten Zieleffekt belegen zu können. Wiederum in Anlehnung an Pestizidprodukte geht es vor allem um eine Beschreibung der ‘Inhaltsstoffe’. Diese stellt aber erst die Ausgangsbasis für eine Risikoanalyse dar. Fragen zur biologischen Sicherheit beginnen dort, wo das Interesse von Entwicklern endet. Sie fragen nach nicht beabsichtigten Effekten, Wechselwirkungen im Ökosystem sowie einer nachhaltigen Steigerung der Umweltverträglichkeit der Produktionssysteme.
Kritik am Zulassungsverfahren
Wie viele Wissenschaftler kritisieren wir diese gängigen Zulassungsverfahren als unzureichend für eine zuverlässige, wissenschaftliche Risikoabschätzung. Es reicht nicht, eine gentechnisch veränderte Pflanze wie eine Chemikalie zu prüfen. Toxikologische Parameter aus kurzfristigen Labortests stellen – ohne Überprüfung – keine belastbaren Indikatoren für ökologische Langzeitauswirkungen in komplexen Umwelten dar. So wird man den Eigenschaften eines lebenden, dynamischen Organismus nicht gerecht, der Inhaltsstoffe in Abhängigkeit vielfältiger Umwelteinflüsse verändert. Isoliert vom Pflanzenkontext werden auch Wechselwirkungen mit anderen bioaktiven Pflanzeninhaltstoffen nicht berücksichtigt.
Im Falle experimenteller Untersuchungen mit herbizidresistenten Pflanzen ist überdies gravierend, dass sie oft ungespritzt getestet werden. Damit bleibt die Rückstandsproblematik der Unkrautvernichtungsmittel für Umwelt und Gesundheit außen vor. Immerhin überschritten diese Rückstände bei der Markteinführung der herbizidresistenten Sojabohnen von Monsanto sowohl in den USA als auch in der EU die bis dahin geltenden Höchstwerte. Diese wurden daraufhin umgehend von den zuständigen Behörden einfach nach oben korrigiert; anderenfalls hätten die Ernteprodukte nicht verkauft werden dürfen.
Ein neuer Trend bei den Zulassungen von gentechnisch veränderten Pflanzen sind sogenannte ‘gestapelte’ Sorten, die bis zu sechs verschiedene Bt Insektengifte und die Rückstände von einem oder zwei Totalherbiziden in sich vereinen. Kombinationswirkungen dieser Toxine gelten als ausgeschlossen, da in den früheren isolierten Prüfungen der einzelnen Bt Insektengifte keine als negativ bewerteten Effekte von biologischer Relevanz konstatiert wurden. So kommen diese ‘gestapelten’ Pflanzen ohne nennenswerte zusätzliche Sicherheitsstudien auf den Markt.
Entwickler gentechnisch veränderter Pflanzen nehmen als deren spezifischen Nutzen in Anspruch, sie ermöglichten eine ökonomischere Unkrautkontrolle und schonende Bodenbearbeitungsverfahren; Effekte, die auch durch andere Maßnahmen erzielt werden könnten. Dass heute schon Resistenzen gegen Glyphosat beobachtet werden und damit der Einsatz von alten, zuvor als schädlich bezeichneten Unkrautvernichtungsmitteln wieder erforderlich geworden ist, sehen die Entwickler hingegen nicht als spezifischen Schaden der Gentechnik. Dabei hatten ihre Protagonisten zur geplanten EU-Markteinführung Mitte der 1990er noch betont, Glyphosatresistenzen seien praktisch auszuschließen. Auch beim Anbau von Bt-Pflanzen verbuchen ihre Entwickler die anfängliche Verringerung der Pestizidanwendung als Nutzen auf ihrem Konto, deuten aber deren Zunahme nach der Resistenzbildung als allgemeines Problem.
Die Auswahl von Einschätzungen, die für einen selbst am günstigsten erscheinen, ist charakteristisch für eine althergebrachte reduktionistische Risikoabschätzung, die mit der klassischen Technologieförderung einhergeht. Wenn, wie eingangs dargestellt, ein Paradigmenwechsel eingefordert wird, dann muss dieses System der Sozialisierung der Schäden für das Gemeinwohl ersetzt werden. Die negativen Effekte, die der Einsatz von Bt-Pflanzen hervorruft, müssen bereits von den Herstellern mit in ihre Kostenkalkulationen eingerechnet werden. Erst wenn die tatsächlichen Kosten abgeschätzt sind, können daran auch alternative Lösungen vernünftig gemessen werden.
Diese Forderung betrifft aktuell auch die Nanotechnologien oder die Synthetische Biologie , die momentan mit massiver finanzieller Unterstützung durch Steuergelder vorangetrieben werden. Wie gentechnisch veränderte Produkte, so müssen auch diese zukünftig in realistischen Expositionsszenarien und in ihrer Gesamtheit getestet werden statt realitätsfremd als isolierte Komponenten.
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Die Autoren:
ANGELIKA HILBECK ist Agrarökologin und forscht an der ETH Zürich. Zudem ist sie Vorstandsmitglied der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und Vorsitzende des European Network of Scientists for Social and Environmental Responsibility.
HARTMUT MEYER ist Biologe, Koordinatordes European Network of Scientists for Social and Environmental Responsibility und Mitglied der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW)

