Anfang April informierte die Konsumenten-Vereinigung Nordwestschweiz (neu Konsumenten-Vereinigung Schweiz) ihre Mitglieder und Gönner über die bevorstehenden Beratungen im Europa-Rat und Europaparlament über den «Verordnungsentwurf für einen einheitlichen Telekommunikationsmarkt». In den Medien wird dies mit Begeisterung publiziert, denn die Roaminggebühren werden damit aufgehoben. Was in den Medien nicht erwähnt und zur Sprache kommt, sind die massiven Bedenken bezüglich der Netzneutralität, welche nur von kritischen Beobachtern thematisiert wird.
Nach der Verhandlung im Europa-Parlament fasst der Verbraucherzentrale Bundesverband wie folgt zusammen:
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) begrüsst, dass die Abgeordneten mit ihrem Votum ein klares Zeichen für die Bewahrung des offenen Internets gesetzt und gefährliche Lücken im ursprünglichen Verordnungsentwurf geschlossen haben. «Trotz der Korrekturen sind aber noch immer kritische Punkte zur Netzneutralität offen», sagt Lina Ehrig, Leiterin des Teams Digitales und Medien beim vzbv.
Das Europäische Parlament hat die Definition der Netzneutralität wesentlich klarer und verbraucherfreundlicher als bislang gestaltet. So sollen Verbraucher grundsätzlich das Recht auf einen offenen und neutralen Internetzugang erhalten. Dies bedeutet beispielsweise, dass Inhalte und Dienste im offenen Internet nicht verlangsamt, geändert oder anderweitig verschlechtert oder diskriminiert werden dürfen.
Definition der Spezialdienste weiterhin nicht ausreichend
Obwohl das Parlament eine stärkere Regulierung der so genannten Spezialdienste beschlossen hat, gibt es weiterhin Schlupflöcher für Inhalte- oder Diensteanbieter, Verträge mit Zugangsnetzbetreibern zu schliessen, um ihre Angebote gegen Entgelt besonders behandeln zu lassen.
Zwar sieht der Beschluss des Europaparlaments vor, dass Spezialdienste künftig nicht als Ersatz für einen Internetzugang vermarktet werden dürfen. Dies ist in manchen Ländern bereits üblich, wo man bei Mobilfunkanbietern statt eines Internetzugangs lediglich einen billigeren Facebookzugang erhält. Dennoch ist die Definition der Spezialdienste noch immer nicht ausreichend. Denn weiterhin wäre es möglich, dass ein Internetanbieter einen Vertrag mit einem grossen Streaminganbieter abschliesst und dessen Video- oder Musikdaten anschliessend nicht auf das Übertragungsvolumen seiner Kunden anrechnet.
Dies könnte zu erheblichen Markteintrittsbarrieren führen und sich negativ auf die Angebotsvielfalt auswirken. Neue oder kleine Inhalte- oder Diensteanbieter, die nicht über entsprechende finanzielle Mittel verfügen, würden gegenüber den etablierten, grossen Anbietern ins Hintertreffen geraten. Besonders betroffen wären nicht-kommerzielle Anbieter, die teilweise eine grosse Rolle im gesellschaftlichen und politischen Meinungsbildungsprozess einnehmen.
Der vzbv fordert, dass die Spezialdienste unmissverständlich von Diensten im offenen Internet unterschieden werden. Ein Dienst solle nicht als Spezialdienst angeboten werden dürfen, wenn er auch im offenen Internet existiert, wie es aktuell bei einzelnen Musikstreamingdiensten der Fall ist. Ausserdem sollte immer ein sachlicher Grund vorliegen, warum ein Dienst als Spezialdienst realisiert werden muss, um die Belastung für das offene Internet möglichst gering zu halten.
EU-Rat und Bundesregierung müssen nachbessern.
Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, sich auf europäischer Ebene für die gesetzliche Verankerung der Netzneutralität einzusetzen: Es solle sichergestellt werden, «dass Provider ihre eigenen inhaltlichen Angebote und Partnerangebote nicht durch höhere Datenvolumina oder schnellere Übertragungsgeschwindigkeit im Wettbewerb bevorzugen».
Der vzbv fordert die Bundesregierung jetzt auf, sich im Rat der Europäischen Union für einen schnellen Abschluss des Verordnungsverfahrens einzusetzen und die Vorarbeit des Europaparlaments zur Sicherung der Netzneutralität zu nutzen.
Rückenwind dafür kommt auch von den mehr als 175.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern, die in den vergangenen Tag dem Aufruf von Campact, der Bürgerrechtsorganisationen Digitalcourage und Digitale Gesellschaft sowie des europäischen Dachverbands European Digital Rights (EDRi) und des vzbv gefolgt sind und einen Appell für Netzneutralität unterschrieben haben.
Quelle: Medienmitteilung Verbraucherzentrale Bundesverband 3.4.2014
Fazit:
Es ist für Konsumenten wichtig, alle Aspekte zu kennen, denn nicht präzis definierte Spezialdienste können einen massiven Einfluss auf die Meinungsfreiheit haben. Warum? Heute können Non-Profit-Organisationen ihre Informationen im Internet publik machen. Die Kosten sind durchaus tragbar – es wird eine Webseite gestaltet, die Gebühren für den Domainnamen und den Provider werden bezahlt und die Seite sollte regelmässig aktualisiert werden. Der Nutzer kann praktisch überall, mit den entsprechenden Geräten, auf die Informationen zugreifen. Seit Iphones boomen, können beim Anbieter Abos gekauft werden, welche die entsprechende Datenmenge zum Pauschalpreis enthalten. Der obenstehenden Medienmitteilung kann man entnehmen, dass aber in gewissen Ländern Mobilfunkanbieter bereits statt eines Internetzugangs lediglich einen billigeren Facebookzugang gewähren.
Hier besteht also nicht nur ein Risiko für die Anbieter gegenüber Grosskonzernen, welche Spezialdienste locker bezahlen können, sondern auch für den Nutzer, der eventuell den Internetzugang dann wesentlich teurer bezahlen muss.
Darum ist es wichtig, dass Konsumenten sich nicht nur auf die wegfallenden Roaminggebühren, sondern auch auf die eventuell entstehenden Mehrkosten konzentrieren. Insbesondere auch, dass in der Schweiz die Netzneutralität gesetzlich verankert wird, denn dies ist – wie wir in unseren ersten Bericht aufzeigen – noch nicht der Fall.


