Kuhltur
Kühe sind Teil unserer Kultur. Die Kuhkämpfe (1) gehören genauso zum Wallis wie die Landsgemeinde zu Appenzell; unsere Nationalspeisen Fondue und Raclette so wie das AOP-Trockenfleisch sind der Viehwirtschaft zu verdanken. Das Bild, das wir von der “Kuh-Schweiz” haben, mag verstaubt sein (2) und die Werbebotschaften, die auf eine folkloristische Sehnsucht bauen, haben mit der Realität kaum mehr etwas zu tun. Fünfmal mehr Menschen wohnen in der Stadt als auf dem Land (3), kaufen Milch und Fleisch beim Grossverteiler und wissen wenig darüber, wie diese Produkte wirklich entstanden sind. Die Werbung zielt auf das Bedürfnis nach Natur im Stadtdschungel, nach eigener Gesundheit dank dem Genuss von Produkten einer gesunden, bäuerlichen Landwirtschaft. Doch Sein und Schein liegen oft weit auseinander … obwohl diverse Gruppierungen, Marken und Initiativen versuchen, sie einander anzunähern; erst letzten Monat kam mit dem Verein Heumilch eine weitere dazu. Wieso? Brauchen wir das alles wirklich?
Wie funktioniert die “moderne bäuerliche Landwirtschaft”, nach der sich die Konsumenten sehnen, tatsächlich? Wir haben die beef.ch zum Anlass genommen um darüber am Beispiel heutiger Rindviecher zu schreiben. Über Kuhhändel, Kälber und Käse, aber auch Embryotransfers, Rassenkreuzungen und Milchleistungen.

Die Schweiz eignet sich topografisch und klimatisch perfekt für Wiederkäuer: Die Raufutterverzehrer wandeln Grasland – das zwei Drittel unserer Landwirtschaftlichen Nutzflächen ausmacht – in Milch und Fleisch um. Seit der Industrialisierung, die mit dem Dampfantrieb Maschinen und Eisenbahnen und dadurch billiges Importgetreide brachte, spezialisierte sich die Schweiz auf die Viehwirtschaft und die damit verbundene Produktion von Milch und Käse. Damals lebten die Kühe nur im Winter im Tal. Im Frühling zogen sie zuerst auf die Maiensäss (4) und für den Sommer dann auf die Alp, “um immer dort zu sein, wo der Boden die saftigsten Gräser hergibt” (5). Im Herbst ging es wieder vom Berg runter, nach einem Zwischenaufenthalt im Maiensäss zurück ins Tal. Die modernen Transportmöglichkeiten und der wirtschaftliche Druck haben das geändert: heute wird meist alles Futter im Tal gelagert, viele Maiensäss wurden in Wochenendhäuschen umgebaut, die meisten Tiere werden direkt vom Tal auf einen Berg gefahren und gut 3 Monate später wieder zurück.
Dem wirtschaftlichen Druck ist die ganze Landwirtschaft ausgesetzt, aber bleiben wir beim Rindvieh:
Kuhbay
Freihandel ist nichts Neues. Relativ neu ist, dass so grosse Mengen Ware so weit herum geschickt werden, bevor sie beim Endkunden landen. Entsprechend kompliziert sind auch die dazu gehörenden internationalen Verträge, Gesetze und Regeln. In Sachen Milch und Käse müssen die bilateralen Verträge mit der EU berücksichtigt werden mit der Marktöffnung für Milch und Milchprodukte über die weisse Linie und der Marktöffnung für Käsereiprodukte über die gelbe Line, und das, obwohl sich alle Betroffenen und Interessierten bewusst sind, dass die Herausforderungen enorm sind. Aber auch das Schoggi-Gesetz, das “Preisausgleichssystem” um das “Rohstoff-Preishandicap der schweizerischen Nahrungsmittelindustrie zu mildern” oder der aktive Veredelungsverkehr für Ware, wie zum Beispiel Milch, die “vorübergehend in die Schweiz zur Bearbeitung (und) Verarbeitung … eingeführt wird” haben direkte Auswirkungen auf die Produzentenpreise – und damit auf die Wirtschaftlichkeit der LandwirtInnen.
Um überhaupt produzieren zu dürfen, müssen die TierhalterInnen jederzeit zeigen können, dass auf ihrem Hof das Tierschutzgesetz eingehalten wird, und um die umstrittenen, aber für die Wirtschaftlichkeit des Hofes meistens unverzichtbaren Direktzahlungen zu erhalten, ist weiterer administrativer Aufwand nötig. Für Tierwohlbeiträge (“Besonders Tierfreundliche Stallungssysteme” BTS, aber auch “Regelmässigen Auslauf im Freien” RAUS), die Warenrückverfolgung (Tierverkehrsdatenbank TVD), die Düngerbilanz, die Datenbank Schweizer Milch und so weiter sind gewisse Standards einzuhalten und auch zu dokumentieren.
Unsere moderne Landwirtschaft hat nicht nur technische Arbeitserleichterung für die Bauern gebracht, sondern sie hat auch strengen Regeln und Gesetzen zu folgen. Wir möchten an dieser Stelle keine Diskussion über den zeitaufwändigen administrativen Aufwand anzetteln, denn es macht durchaus Sinn, dass z.B. die Milch von medizinisch behandelten Tieren nicht in den Handel darf, dass die Rückverfolgbarkeit der Schlachtkörper möglich ist und so weiter. Gerade weil die “Ware” Milch, Käse und Fleisch mit individuellen Tieren zu tun hat.
Rinder und Kühe werden heute lokal und regional immer noch gehandelt, auf Auktionen und Viehmärkten und auch schon online. Allerdings ist auch hier die Realität weit vom folkloristischen Image entfernt: viele Betriebe verzichten aus Kostengründen auf Stiere und suchen das für ihre Kühe und ihren Bestand passende Sperma im Katalog.

Zukuhnft der Agrarpolitik
Veränderungen in der Agrarpolitik führen zu Veränderungen in der Kuhhaltung. Die Preise decken die Kosten nicht. Das ist längst bekannt und deshalb wurden bis 2013 Beiträge für raufutterverzehrende Nutztiere geleistet. Ab AP 14-17 wird stattdessen „graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion“ unterstützt – mit dieser Zahlungsumlagerung soll die Landwirtschaft ökologischer werden (6). Dass das wenig Sinn macht, war absehbar (7). Man hätte sich gewünscht, die in der AP 14-17 so sehr thematisierte Qualität der Fleischproduktion durch Erhöhung der Standards bei der Fütterung zu stärken und beispielsweise die Silogras- und Maisfütterung während der Vegetationspariode zugunsten nährstoffreicher Wiesen weiter zu reduzieren (8). Denn mit extensiver Haltung (Weidehaltung) können Flächen genutzt werden, die sich nicht für den Ackerbau eignen. Extensive Fütterung ist nur mit Gras machbar und die in Weidehaltung produzierten Milch- und Fleischprodukte haben auch ein anderes, gesünderes Fettsäuremuster – u.a. einen höheren Anteil an Omega 3-Fettsäuren.

Das Tierwohl ist wichtig und das ist auch richtig so. Um die Priorität zu unterstreichen wird das auch vom Bund (finanziell) gefördert. Nur: wie wird definiert, was fürs Tierwohl am besten ist? Ohne die ganze Liste aufzunehmen nur ein Beispiel: sind Laufställe wirklich besser als Anbindeställe, wenn die Tiere täglich raus können? Natürlich: die Kühe haben mehr Platz und können sich freier bewegen, haben aber häufig auch weniger Möglichkeiten, sich zurückzuziehen. Laufställe vereinfachen den Arbeitsablauf – aber sie reduzieren auch den Kontakt zwischen Bauer und Tier.
Einer der von unserer Sicht aus gesehen wunden Punkte in der Agrarpolitik ist, dass – als Folge der frei fallenden Milchpreise, des wirtschaftlichen Drucks sowie der Gesetzlichen und Politischen Rahmenbedingungen – die Anzahl Produzenten kontinuierlich ab-, die Milchmenge aber weiterhin zunimmt. Bei konstanter Anzahl Milchkühe (9) ist das nur möglich, wenn die Produktion intensiviert wird und weniger Kühe mehr Milch geben. Dank mehr Kraftfutter entsteht allerdings auch mehr Methan, mehr Umweltverschmutzung, usw. Wollen wir das? Oder wollen wir eine umweltschonende, vielseitige, bäuerliche Landwirtschaft? Zu dieser gehören Raufutterverzehrer, weil sie unser Grasland in Ernährung für den Menschen umwandeln können.


Quellen:
- Ringkuhkämpfe
- Verstaubte Texte und Bilder
- Räumliche Verteilung Agglomerationen
- Maiensäss
- Bergauf, Bergab, Film von Hans Haldimann, 2008
- Volkes Wille – Protektionismus, Ernährungs- und Umweltauswirkungen der verschiedenen Volksinitiativen zum Thema Ernährung
- Schweizerbauer: Hürden für graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion sind hoch
- SMP Milchviehtage 2016
- Taschenstatistik 2016 Landwirtschaft und Ernährung
Weiterführende Links:
- Kann Fleisch überhaupt Ware sein?
- Die Schweizer Kuh von Marc Valance, Hier und Jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
- Die Wegwerfkuh von Tanja Busse, im Blessing Verlag
- Die Kuh ist kein Klimakiller von Anita Idel (Video >>>)
- Bericht des Bundesrates über die Gegenseitige sektorielle Marktöffnung mit der EU für alle Milchprodukte
- Allgemeines zur Tierhaltung in der Schweizer Landwirtschaft
- Tierhaltung Lehrmittel für Landwirtschaftliche Berufe
- Agenda von Viemärkten und Auktionen und weiteren Anlässen
- Avenir Suisse: Wir sollten nicht mehr, sondern weniger produzieren
- TagesAnzeiger: Neue Subventionen begünstigen grosse Bauernhöfe
- International ist das Problem genau dasselbe, nur noch grösser (Eurpoean Milk Board)
- Kuhbücher (über die Website ZAlp)
- Ausfuhrbeiträge für Erzeugnisse aus der Landwirtschaft
- kuhparadies.de
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