
Was weiss „man“ eigentlich über Agrarpolitik, Subventionen und Direktzahlungen? Erhalten 57‘000 Familien 3.8 Milliarden Franken Steuergelder? Die Presse scheints zu bestätigen: „Ein Herz für Bauern” (1), „Gegenüber den Bauern zeigte sich der Nationalrat … grosszügig“ (2), oder „Der Nationalrat spart beim Bundespersonal, das Budget für die Landwirtschaft stockt er hingegen auf.“ (3).
Dabei soll der Bauer doch Unternehmer sein, sagt der Wirtschaftsminister (4), und ganz in diesem Sinn will der Bundesrat „ … Innovation in der Land- und Ernährungswirtschaft stärker unterstützen, die Wettbewerbsfähigkeit weiter verbessern …“
Die Agrarpolitik soll „auf eine neue Basis gestellt werden“. Eine Neuausrichtung der Landwirtschaft ist nötig, auch als Antwort auf den Freihandel. Landschaftsschutz und -Pflege traten in den Vordergrund der staatlichen Unterstützung, während die Wirtschaftlichkeit der Produktion auf den Höfen selber sichergestellt werden soll. Doch die Umsetzung erweist sich als schwierig. Die Bauern sind unzufrieden, die Konsumenten nicht oder nur bruchstückhaft informiert. Sollte Landwirtschaft nicht mit Leben(smitteln) zu tun haben, also mit Menschen, Tieren und Boden?

Menschen
Standardarbeitskraft: eine politische Währung
Aktuell rechnet man in der Landwirtschaft offiziell mit einem Arbeitseinsatz von 2800 Stunden / Person /Jahr. Eine landwirtschaftliche “Standardarbeitskraft” (SAK) zählt also rund 1000 Stunden (49%) mehr Arbeitszeit als ein Büroangestellter.
Kurz vor den Sommerferien hat nun der Bundesrat bekannt gegeben (7): Ab 2016 soll eine SAK „nur“ noch 2600 Stunden Arbeit bedeuten, in denen die Bäuerin dank technischen Hilfsmitteln fast gleich viel bewerkstelligen kann wie vorher in 2‘800 Std. (8).

Tiere
Nahrungsproduktion und Landschaftspflege
Man liest immer wieder und immer häufiger, wieviel Methan Kühe ausstossen und wie umweltbelastend Fleischessen sei.
Doch das ist nur ein Teil der Geschichte (9): Kühe und andere Nutztiere verwandeln nichtverdaubares Gras von Flächen, die sich nicht für den Ackerbau eignen, in wertvolle Nahrung und produzieren gleich noch natürlichen Dünger. Ohne Kühe, Schafe und Geissen verganden die Alpen. So war eines der Ziele als Futtermittelimporte schwierig wurden ab 1939 nicht die Abschaffung der Kühe, sondern eine Reduktion von damals über 900’000 auf 700’000. 2013 war dieses Ziel mit 703’500 registrierten Tieren fast erreicht (10). Aber Kühe zu halten rechnet sich nicht mehr: Seit Aufgabe der Milchkontingentierung sank der Milchpreis. Die „Weisse Linie“ bringt ihn jetzt auf EU-Niveau (11, 12).
Laufställe versus Anbindeställe
Der Schweizer Konsument will, dass die Tiere, die er isst, ein gutes Leben hatten. So gibt’s „Tierwohlbeiträge“ für besonders tierfreundliche Stallhaltungssysteme (BTS) und für Auslauf (RAUS) (13). Wenn ein neuer Stall gebaut werden soll, werden Laufställe mit einem Zuschlag von 20% der Investitionshilfen gefördert, während ein Kredit für einen Anbindestall kaum bewilligt wird. Sind Laufställe wirklich so viel besser als Anbindeställe?
„ … Gerade schwachen Tieren am Ende der Hierarchie wie frisch gekalbten, alten, jungen oder kranken Kühen gehe es im Anbindestall mit dem «System Vollpension» oftmals besser. Und weltweit werden die höchsten Leistungen im Anbindestall und nicht im Laufstall gemolken. Das zeigt eigentlich auch, dass es den Kühen gut geht.“ informierte der Schweizerbauer (14).

Boden
Bodenschutz durch Strafpunkte
Auf abgeernteten Feldern fallen wie Bunkereingänge aufragende Dolendeckel auf. Als diese Drainagen in den 50er Jahren gebaut wurden, waren sie ebenerdig, heute sind sie 30, z.T. sogar 50 Zentimeter hoch – um so viel ist der Boden in dieser kurzen Zeit erodiert und auch in Mooren zusammen gesunken!
Da dies so nicht weitergehen darf, versucht der Bund mit gezielten Massnahmen, die Erosion zu stoppen. So dürfen in der Schweiz z.B. höchstens 10% der Ackerflächen im Winter unbedeckt sein. Per Verordnung sollte zusätzlich ein Beiträge-kürzendes Strafpunktesystem eingeführt werden, das aber – es hielt dem Realitycheck nicht stand – nach monatelanger Diskussion zur Überarbeitung zurückgezogen werden musste (16).
Schon im Vorfeld der AP 14-17 wurden viele Punkte bemängelt. Die kurzfristige Budgetaufstockung für 2014 hat zwar die Diskussion vorübergehend beruhigt, aber spätestens mit den (vorgeschlagenen) Verordnungen für 2015 wurde klar: die Zielrichtung bleibt, die nächsten Anpassungen stehen an. Die Verordnungen 2015 sollen helfen die reibungslose Anpassung an die EU sicherzustellen.
Ist es unter diesen Umständen verwunderlich, dass gleich drei Volksinitiativen unterwegs sind zum Thema Ernährungssicherheit?
• SBV-USP – zustande gekommen (17)
• Fair Food (grüne, im Sammelstadium (18)),
• Ernährungssouveränität (uniterre >>>)
Qualität statt Quantität – dafür will die Schweizer Landwirtschaft stehen. Sind in der Agrarpolitik die Zahlen auf dem Papier wichtiger geworden als die Menschen, die Tiere und der Boden?
Weiterführende Links
- Agridea factsheet Beitragsansätze AP14 >>>
- Agridea: tools für AP 14-17: Beitragsrechner u.ä. >>>
- Erstes Verordnungspaket zur AP 14-17 >>>
- Zweites Verordnungspaket (für 2015) >>>
- Evaluation des Systems der Standardarbeitskräfte SAK, Bericht des Bundesratess >>>
- Die wichtigsten Neuerungen, die die AP 14-17 brachte: Wichtigste Änderungen und neue Programme (BE) >>> Änderungen Umstellung Direktzahlungssystem (ZH) >>>
- Bundesausgaben für Landwirtschaft >>>
- Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV, Tierschutz – Rinder >>>


