Eine Entgegnung zur Kritik der NZZ an der Ernährungssicherheitsinitiative
Leider sei die Zeitung im Meinungsteil randvoll und publiziere in den Ferienwochen auch keine Tribüne. Sicher ergebe sich zu diesem Thema zu einem späteren Zeitpunkt eine Gelegenheit für eine Replik der SVIL, war die Antwort auf Hans Bieri’s Leserbrief.
Wir finden die Diskussion wichtig und hoffen, auch die NZZ findet einen gebührenden Platz dafür.
Unter dem Titel „Volkabstimmung über den Gegenentwurf zur Bauern-Initiative“, NZZ vom 30. Juni, bezeichnet Désirée Föry „das Begehren der Bauern als überflüssig“. Die Bauern hätten die Änderung des Direktzahlungssystems im Rahmen der AP 14-17 nicht hinnehmen wollen. Deshalb hätten sie die Ernährungsinitiative für Ernährungssicherheit lanciert, also sich gewissermassen an die Bevölkerung gewandt. Die Initiative habe im Nationalrat zwar Anklang gefunden (wogegen sich allerdings in den Medien, vorab in der NZZ, ein Proteststurm erhob, siehe das Medienecho vom März 2016)), nur im Ständerat sei sie durchgefallen.
Dessen Gegenentwurf entspreche, so Föry, jedoch weitgehend dem Text der Initiative des Schweizer Bauernverbandes. „Aus unbegreiflichen Gründen“ unterstütze der Bundesrat nun den Gegenentwurf des Ständerates, wie die NZZ feststellt. Dabei bestehe doch zwischen der zurückgezogenen Initiative des Schweizer Bauernverbandes (SBV) und dem Gegenentwurf kein Unterschied (sic!). Letztlich müsse ohnehin, „um langfristig überleben zu können, die Landwirtschaft endlich eigenständig im freien Markt sich behaupten lernen.“ Der Gegenvorschlag sei „taktisch geschickt“, (in wessen Interesse?), „weil er den Bauern erlaubt habe, das Gesicht zu wahren. Deshalb habe der Gegenvorschlag so grosse Zustimmung bekommen, obwohl er sich vom Initiativtext des Schweizer Bauernverbandes kaum unterscheide.“
Geht es der NZZ bei all diesen vorgetragenen Widersprüchlichkeiten einzig darum, dass am Schluss der Agrarfreihandel herauskommt und die Landwirtschaft sich dem anpassen muss? Nun ist es jedoch so, dass die Ernährungssicherheit ein Bedürfnis der Bevölkerung ist. Welches sind die Voraussetzungen, dass in der Schweiz die Landwirtschaft auch bestehen kann? Dazu braucht es den Agrarschutz. Die NZZ und die Befürworter des Agrarfreihandels meinen, dass die Landwirtschaft nicht geschützt sondern sich an den Markt anpassen müsse. Die Ernährungssicherheit hänge somit immer mehr vom Import ab. „Die Schweiz ist auf Importe angewiesen“. Was bereits „Realität“ sei, müsse nicht in der Verfassung zu stehen kommen, folgert die NZZ. Wegen dem bereits hohen Importanteil von 40% ist deshalb die Ernährungssicherheitsinitiative nach Meinung der NZZ “überflüssig“ und der Agrarfreihandel die einzig richtige Wahl.
„Urnengang über nichts“ lautet in der gleichen NZZ-Ausgabe vom 30. Juni der zweite Beitrag zur Abstimmung vom 24. September von Hansueli Schöchli. „Die Abstimmung über den Gegenvorschlag werde ein Wunschkonzert sein zwischen Agrarfreihandel und der Forderung nach noch mehr Subventionen“. Die Ernährungssicherheit als Verfassungsauftrag müsse den Agrarfreihandel beinhalten, meint die NZZ. Doch das entspricht nicht dem Verfassungstext.
An der SVIL-Tagung vom 2. Juni „Freihandel und Landwirtschaft — wie lässt sich das vereinbaren?“ hat die Diskussion am Schluss der Tagung klar gezeigt, dass es beim Grenzschutz um den gesellschaftlichen wirtschaftlichen Zusammenhalt geht. Die AP 14-17 hat die landwirtschaftliche Produktion geschwächt, die Direktzahlungen in ökologische Leistungsentgelte umgewandelt und somit prospektiv den Agrarschutz unterhöhlt. Cui bono? Es dient den Promotoren des Agrarfreihandels, den Nischenproduzenten und NGOs im Bereich Natur und internationalem Fair Trade mit den AKP-Staaten als Rohstofflieferanten. Dabei steht nicht unsere Ernährungssicherheit im Vordergrund. Die genannte sehr heterogene Interessengemeinschaft zu Gunsten des Agrarfreihandels kam in einer Allianz zum Ausdruck, welche den Zielen des Bundesrates in der AP 14-17 zum Durchbruch verholfen hat und nun aktuell auch die Initiative des Schweizer Bauernverbandes soweit abänderte, dass nun der Nahrungsmittelimport als Element der Ernährungssicherheit in die Verfassung zu stehen kommt.
Doch ein gewisser Import von Nahrungsmitteln und Agrarfreihandel muss man klar auseinanderhalten!
Hans Bieri
Schweizerische Vereinigung Industrie und Landwirtschaft SVIL
Weiterführende Links:
- NZZ Interview (Heidi Gmür und Désirée Föry) mit Bundesrat Johann Schneider Ammann: Wir stellen die Bauern nicht unter Heimatschutz
- SVIL Tagung vom 2.Juni 17: Freihandel und Landwirtschaft: Wie lässt sich das vereinbaren? Vorträge und Zusammenfassung
- Auftakt des Ja-Komitees zum Verfassungsartikel über Ernährungssicherheit zum Abstimmungskampf →


Wie oft muss man es wiederholen ? Es geht bei der Ernährungssicherheitsinitiative nicht um «die Bauern», also einen Berufsstand, sondern es geht um deren ausgeübte Funktion, also die Landnutzungs- und Ernährungspolitik für die Bevölkerung. Wir haben die Armee auch nicht wegen den Soldaten, sondern wegen der Unabhängigkeitspolitik für die Bevölkerung. Und wenn ich als Politiker einen Kredit für die Feuerwehr spreche, tue ich das nicht für die Feuerwehrleute, sondern für den Schutz der Gemeindebevölkerung.
Und als Ökonom staunt man nicht schlecht über Aussagen, wonach die Schweizerlandwirtschaft einfach nur die Kosten senken müsse, um auch ohne Grenzschutz und Direktzahlungen konkurrenzfähig zu sein. Weniger Bauern, grössere Höfe – und schon sei das Kostenproblem gelöst. Es brauche dann ja z.B. nur noch einen Traktor, wo es heute zwei brauche… Sind denn die Maschinenringe, wo das längst praktiziert wird, dem Landwirtschaftsminister unbekannt ? Oder die Lohndrescherei, wo schon lange mit dem Drescher eines Nicht-Bauern eine Vielzahl von Feldern einer Vielzahl von Landwirten bearbeitet wird ? Und warum könnten die Schweizerbauer eigentlich ihre Nahrungsmittel gratis abgeben, und trotzdem wäre der Ladenpreis höher als im Ausland ? – Der Mythos vom – ach, so wirksamen – Skaleneffekt in der Landwirtschaft gehört wegen dem mehrfach nachgewiesenen sogen „Effekt der landwirtschaftliche Tretmühle“ ausgerechnet gerade zu den bestwiderlegten Hypothesen der Ökonomie.
Der vielleicht wahrste Satz im Interview war wohl, dass wir (wer ist das ?) uns «einen Selbstversorgungsgrad von 60% (als ob es noch 60% wären …!) nicht mehr leisten könnten». Darum geht es wohl tatsächlich. Um Geld. Geld, um dessen Willen auch die Grossmutter verkauft, oder die Selbständigkeit geopfert würde ! Wie schnell doch die Geschichte in Vergessenheit gerät. Bis 2007/08 war es auch das Geld, dessen wegen sich die Banken eine ausreichende Eigenmittelausstattung «nicht mehr leisten» können wollten. Doch wer schon zuvor auf die potentiellen Gefahren dieser lukrativen, aber hochriskanten Politik in einer verklärten Idealwelt ohne Störungen hinwies, wurde als „Schwarzmaler» abgetan. Wie heute beim Eigenversorgungsgrad.
Bekanntlich kam es dann 2007 ganz anders… Aber da war es zu spät. Und alles zuvor «gesparte» Geld nützte nichts mehr. Aber die Gemeinschaft bezahlte dafür – bis heute …
Hermann Dür, Burgdorf
Lic.oec. HSG