Leserbrief von Hans Bieri (Tagesanzeiger, 5.11.13)
Rudolf Strahm nimmt die Aussagen vor Monaten in der „Neuen Luzerner Zeitung“, worin die Berner zu den Griechen der Schweiz erklärt wurden, zum Anlass, in seiner Kolumne das Übel bei der SVP (ehemals BGB) und der „Politik der Scholle“ von Bundesrat Minger aus den 30er-Jahren festzumachen. Strahm kriegt es nicht auf die Reihe, dass diese mediale Kritik letztlich ein neoliberales Programm verfolgt, welches er nun mit Teufelsgewalt der Berner SVP aufdrücken will. Wer Kulturland für die Eigenversorgung mit Lebensmitteln schützt und das Land nicht ständig weiter überbauen will, der ist in der verkürzten Optik von Strahm schuld an den fehlenden Steuereinnahmen in Bern. Dabei nimmt die Bevölkerung gleichzeitig wahr, dass das Zubauen der Schweiz für die Bürger kaum noch mehr Wohlstand, sondern immer schwerer zu bewältigende Lasten hinterlässt. Die ganze Prokopfeinkommensrechnung, die Strahm bemüht, unterscheidet nicht zwischen Arbeits- und Kapitaleinkommen. Auch wenn man die hohen Kapitaleinkommen mit der Einwohnerzahl dividiert, verwandeln sich diese nicht in Arbeitseinkommen, welche ja allein über die Kaufkraft entscheiden. Strahm vertritt ein Gemisch aus veralteten Wachstumskonzepten und einer finanzorientierten Immobilienbewirtschaftung als Ersatz für die schwindende KMU-geprägte Realwirtschaft. Wer diese Entwicklung der Regionalkonferenz Bern und Umgebung zu mehr funktionalen Metropolitanräumen kritisiert, ist nach Strahm „Tea Party“. Ob das stimmt, ist weniger wichtig. Hauptsache, eines der Schlagworte mehr ist plaziert. Strahm wettert gegen das „Amstutzhinterland“ der KMU-Schweiz – thematisiert jedoch nicht, dass diese Realwirtschaft unter einem Auszehrungsprozess leidet, welcher sie zwingt, den Standort Schweiz zu verlassen oder aufzugeben. Dies hat den Kanton Zug längst dazu gebracht, seinen Standort für internationale Head Quarters zu entwickeln. Dies wiederum hat die Frage aufgeworfen, ob Steuergelder aus Einnahmen des globalen Rohstoffhandels mit unserem Selbstverständins vereinbar sind. Auch hat Strahm in seiner Aufarbeitung der Berner „Verhinderungspolitik“ vergessen, das Berner Patriziat und die Ökonomisch Gemeinnützige Gesellschaft als Verhinderer der Bodenspekulation anzuführen. Dass der Flughafen nach Kloten kam und nicht ins bernisch/freiburgische Grosse Moos oder nach Utzenstorf, hatte wiederum nicht die kantonalbernische BGB zu verantwortens, sondern Bundesbern selbst, nämlich als eidgenössische Landeigentümerin des nicht mehr gebrauchten Artilleriewaffenplatzes zwischen Rümlang und Kloten.
Hier geht’s zu Rudolf Strahm’s “Bern und die Politik der Scholle”

