In der Schweiz geht alle Macht vom Volke aus. Aufgabe des Bundesrates und der ihm untergebenen Behörden als Exekutive ist es, den Willen des Volkes umzusetzen, der in der Bundesverfassung verankert ist.
Das gilt auch für Bundesrat Guy Parmelin und das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF), das den Verfassungsauftrag in Bezug auf die Landwirtschaft umzusetzen hat. Die Bundesverfassung beinhaltet in Artikel 2 als Zweck:
„Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes.“
Die unverzichtbare Grundlage für die Unabhängigkeit und Sicherheit ist in erster Linie ein möglichst hoher Selbstversorgungsgrad der Schweiz, der darauf ausgerichtet sein muss, die Ernährung der Bevölkerung sicherzustellen auch für längere und sehr lange Zeiträume, in denen Importe ausbleiben könnten. Dies zeigen die historischen Erfahrungen, die die Schweiz in ihrer isolierten Situation sowohl im ersten wie auch im zweiten Weltkrieg machen musste. Diese als ‚tempi passati’ abtun zu wollen, ist blauäugig. Angesichts der heutigen angespannten weltpolitischen Lage sind mögliche Entwicklungen schlecht vorhersehbar. Das verlangt eine realistische Agrarpolitik, die neben der alltäglichen Versorgung auch vorausschauend für prekäre Versorgungslagen (kurze bis jahrelange) plant und aktiv wird, damit unsere Landwirtschaft die Ernährung unserer Bevölkerung im höchstmöglichen Ausmass jederzeit sicherstellen kann.
Das ist das, was das Schweizervolk unter „der sicheren Versorgung der Bevölkerung“ versteht. Deshalb hat es am 24. September 2017 dem neuen, untenstehenden Landwirtschaftsartikel 104a mit einem überwältigenden Mehr zugestimmt:
„Art. 104a 1 Ernährungssicherheit Zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln schafft der Bund Voraussetzungen für:
a. die Sicherung der Grundlagen für die landwirtschaftliche Produktion, insbesondere des Kulturlandes
b. eine standortangepasste und ressourceneffiziente Lebensmittelproduktion;
c. eine auf den Markt ausgerichtete Land- und Ernährungswirtschaft;
d. grenzüberschreitende Handelsbeziehungen, die zur nachhaltigen Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft beitragen“.
Die Umsetzung dieses Verfassungsauftrages verlangt in erster Linie die Unterstützung und den nachhaltigen Schutz unserer Landwirtschaft. Das muss und darf auch etwas kosten und wird von der Bevölkerung auch gerne bezahlt.
Die Agrarpolitik 2022+ steht jedoch in diametralen Gegensatz zu diesem Verfassungsauftrag. Das zeigt bereits die fettgedruckte Einleitung zur Übersicht auf Seite 4:
„Mit der Agrarpolitik ab 2022 sollen die agrarpolitischen Rahmenbedingungen in den Bereichen Markt, Betrieb und Umwelt so angepasst werden, dass die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft zukünftige Chancen eigenständiger und unternehmerischer nutzen kann.“
Diese angepassten „agrarpolitischen Rahmenbedingungen“ sind ein implizites Deregulierungsprogramm. Sie setzen unsere Bäuerinnen und Bauern einem freien Markt aus, dessen Konkurrenz sie nicht gewachsen sein werden. Sollen noch mehr bäuerliche Familienbetriebe verschwinden und die Suizide weiter steigen?
Unsere Bäuerinnen und Bauern müssen nicht „eigenständiger und unternehmerischer“ werden. Sie müssen – vor ausländischer Konkurrenz geschützt – für die Bevölkerung vor Ort zu Preisen produzieren können, die den Bauernfamilien ein anständiges Einkommen ermöglichen.
Was in der Schweiz wächst, soll auch hier produziert und mit Zöllen vor ausländischer Konkurrenz geschützt werden, dem haben die agrarpolitischen Massnahmen der AP 22+ zu entsprechen. Zitrusfrüchte, Bananen und Kaffee usw. könnte man selbstverständlich zollfrei einführen.
Das Schweizer Volk bestimmt die Agrarpolitik. Es geht nicht an, dass willfährige Bundesräte (so zum Feispiel Ex-Bundesrat Johann Schneider-Ammann) statt dessen die Interessen der WTO und der OECD[i] bedienen. Ebenso wenig darf der Agrarschutz geopfert werden, damit finanzkräftige Unternehmen (Economiesuisse, Avenir suisse, Swissmem) einen verbesserten Marktzugang in andere Länder erhalten im Bereich Industrie und Dienstleistung zugunsten von mehr Wachstum im Export, sprich zur Steigerung ihrer Renditen.
Unsere Landwirtschaft sichert unser tägliches Brot. Daher gilt noch immer „Landwirtschaft raus aus der WTO“ und aus allen Freihandelsverträgen.
Tragischerweise segeln Vision Landwirtschaft, das HAFL, jc consult, Green Peace, Pro Natura, Biosuisse und IP-Suisse im selben Fahrwasser wie die Unternehmensverbände oder liefern diesen sogar noch die theoretischen Grundlagen zur Abschaffung des Agrarschutzes. Sie behaupten, dass die Extensivierung der schweizerischen Landwirtschaft zu mehr Ökologie sowie zu einer höheren Wertschöpfung bei Nischen- und Labelangeboten führen werde. Das ist kurzsichtig. Wir haben es dann zwar schön ökologisch und nachhaltig. Aber mit Nischen- und Labelangeboten kann in einer Krisensituation eine Bevölkerung von 8,4 Millionen (2018) nicht ernährt werden. Und wenn dann die Grenze dicht ist wie von 1914 bis 1918 oder von 1939 bis 1945?
Die AP 22+ zielt darauf ab, unsere produzierende Landwirtschaft auszudünnen, um dann das Fehlende auf dem Weltmarkt billig einzukaufen und zu importieren. Die Preise sollen dann in der Schweiz sinken und in der Folge auch der Einkaufstourismus im Ausland abnehmen. Das ist dumm und unethisch.
Der weltweite Handel mit Nahrungsmitteln geht auf Kosten der Menschen und der Natur im globalen Südens: Hunger, Mangel- und Unterernährungen sowie Asylsuchende und Wirtschaftsflüchtlinge in den globalen Norden.
In unserer Welt leiden mehr als eine Milliarde Menschen an Hunger, Mangel- und Unterernährung mit all ihren bitteren Folgen. Massiv betroffen ist die ländliche Bevölkerung im Nahen Osten, in Asien, Ozeanien, in Afrika, der Karibik und in Lateinamerika. Primär sind dies die Folgen westlicher Machtpolitik und wirtschaftlicher Interessen, mit denen die Länder des Südens ausgebeutet wurden und werden. Dabei spielt der Welthandel unter dem trügerischen Etikett ‚Freihandel’ eine zentrale Rolle. Finanzkräftige Investoren haben zudem riesige Anbaugebiete zusammengerafft, oft verbunden mit der Vertreibung ansässiger Kleinbauern, denen jetzt der Zugang zu fruchtbarem Land fehlt. Und von da soll dann die Schweiz künftig ihre „günstigen“ Lebensmittel beziehen?
Fazit:
Die Schweiz muss ihre neoliberale Ausrichtung in der Landwirtschaftspolitik, die bis heute bereits grossen Schaden angerichtet hat, aufgeben und ihre agrarpolitischen Rahmenbedingungen endlich an den Erkenntnissen des Weltagrarberichts ausrichten. Der gesamte erläuternde Bericht des Bundesrates zur Agrarpolitik atmet das neoliberale Credo, wie es die OECD in Bezug auf die Schweizerische Landwirtschaft seit den 1990er Jahren gebetsmühleartig[ii] wiederholt.
Die AP 22+ muss daher noch einmal grundlegend überarbeitet werden und die Ernährungssichertheit der Schweizer Bevölkerung in den Mittelpunkt gestellt werden.
[i] Die Organisation für Wirtschaft und Entwicklung OECD sieht ihre Aufgabe wie folgt: „Die reichsten Länder der Welt haben eine Verantwortung, hier voranzugehen und anderen Ländern zu helfen, die Vorteile der Globalisierung zu nutzen. Dies können sie u.a. im Rahmen der OECD tun.“ Angesichts des weltweiten Desasters als Folge der Globalisierung ist eine solche Aussage reiner Zynismus. In Tat und Wahrheit nutzen internationale Konzerne, Stiftungen, Verbände und Lobby-Gruppen die OECD, um ihre Interessen bis in die Nationalstaaten hinein durchzusetzen.
[ii] So zum Beispiel auch 2015, als die OECD der Schweiz empfahl, Agrarzölle und Direktzahlungen noch weiter herunterzufahren, damit die Schweizer Landwirtschaft konkurrenzfähiger, wettbewerbsfähiger werde. Das heisst, dass die Preise für unsere Lebensmittel den Preisen auf dem Weltmarkt angeglichen werden sollen. „Im Durchschnitt liegen die Schweizer Preise 40% über den Weltmarktpreisen“, kritisiert der Bericht der OECD. (Schweizer Bauer, 28.März 2015, S.). Der Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft, Bernhard Lehmann, sagte im Bezug auf den Bericht, dass man die wirtschaftlichen Anregungen im positiven Sinne aufnehmen wolle. Eines der Resultate ist auch der mit Deregulierungsabsichten dicht gespickte erläuternde Bericht zur AP 22,


