“Ökologischer Anbau ist unsere Zukunft”,
schreibt Greenpeace und hat damit definitiv Recht. Dass biologisch angebaute Früchte und Gemüse tatsächlich gesünder sind, zeigen inzwischen einige Studien (1). Der Bio-Markt wächst, “die Intensivkäufer von Bioprodukten haben in den letzten fünf Jahren von 27 auf 35 Prozent zugenommen.” (Jahresbericht 2014 der BioSuisse)
Damit die Wirtschaft von diesem anhaltenden Wachstum profitieren kann, soll immer mehr Bio produziert werden. Aber kann man die Qualität von Bio mit Quantität kombinieren? Ist Bio massentauglich?

Jetzt kommt Bio 3.0

Bio “soll überall zum globalen Mainstream” der Landwirtschaft werden (Kultur und Politik 2/15). Dazu brauche es unter anderem
- die neusten Methoden der Pflanzenzüchtung wie markergestützte Selektionen,
- die Präzisionslandwirtschaft, welche in der Bodenbearbeitung, der Unkrautregulierung oder der Verteilung von organischen Düngern mit Sensoren, Kameras und Satellitensteuerung arbeitet, die Entwicklung “natürlicher” Pflanzenbehandlungsmittel auf der Basis von Pflanzenextrakten und lebendigen Organismen (Biocontrol)
- die Nutzung von Pflanzennährstoffen aus Klärschlämmen,
sagt Urs Niggli (2).
Da fallen Stichworte wie “Wachstum beschleunigen”, “wissenschaftlich-technischen Fortschritt offensiver nutzen” und “das traditionelle bäuerliche Wissen reicht dazu definitiv nicht aus”. Es sei zu begrüssen, dass grosse Firmen in den Bio-Markt einsteigen. Mc Donald’s machts vor mit dem McB: einem Burger mit Biofleisch (3). Greenpeace schätzt, dass die Kette damit der gesamten Biolandwirtschaft einen neuen Aufschwung verpassen könnte, konventionelle Landwirte hätten einen weiteren Anreiz, auf Bio umzustellen. Fastfood-Ketten also in Zukunft ein Garant für nachhaltige Landwirtschaft und Ernährung?
Bio=Industrie
Bio und Industrie scheinen so verschieden wie Öl und Wasser, oder, um in der Landwirtschaft zu bleiben, so unmöglich wie Fruchtfolgen in Monokulturen. Mit der artgerechten Tierhaltung zum Beispiel ist es bei weitem nicht so weit her, wie uns die idyllischen Bilder der Werbung vermitteln, auch in der Schweiz nicht. Tier-im-Fokus geht davon aus, dass trotz Laufställen und Weidegang immer noch 20 Prozent der Bio-Kühe Lähmungserscheinungen aufweisen. Rund ein Drittel ist von Mastitis betroffen – das sind genauso viele Tiere wie in konventionellen Betrieben (4). Bio-Schweine haben ein kleines bisschen mehr Platz, aber wirklich herumlaufen oder in der Erde wühlen können sie auch nicht, sagt Friederike Schmitz, Herausgeberin des Buches “Tierethik” (5). In der Schweiz geht auch das Töten von männlichen Bio-Küken weiter, von denen jährlich rund 2,5 Millionen vergast werden. Verantwortlich für die Praxis dieser massenhaften Tötung ist die Industrie mit ihrer Spezialisierung auf Hochleistungslegehennen (6). Und dass es beim Rindvieh genauso schlimm steht, wurde in den letzten Wochen in allen Medien thematisiert. Als Folge der kaum noch rentierenden Milchwirtschaft werden männliche Kälber zunehmend zum Abfallprodukt und kurz nach der Geburt getötet (7). Wie wird all das aussehen, wenn Bio weiter wächst?

Aus dem „Bestmöglichen“ wurde das „wenigst Schlechteste“.
Ökologische Landwirtschaft ist die moderne Lösung. Doch sie liegt nicht darin, dass “Bio” immer mehr industrialisiert, zurechtgebogen und verwässert wird und alle “alten” Ideale den Bach runter gespült werden. Bio ist ein ganzheitlicher Ansatz (9), bei dem die natürlichen Kreisläufe und Prozesse im Einklang mit der Natur berücksichtigt werden, auf chemisch-synthetische Mittel und Gentechnisch veränderte Organismen und deren Folgeprodukte verzichtet wird, die Zahl der Nutztiere an die zur Verfügung stehende Fläche anpasst ist und Fairness gross geschrieben wird.
Bio 3.0 ist für viele nicht mehr Bio, sondern ein rein geldwirtschaftlicher Kompromiss. Denn Bio ist kein Computerprogramm, das in neuen Versionen dem Zeitgeist angepasst und verbessert werden kann.

Ist Bio 3.0 als Vision sinnvoll?
Wenn man schon mit Versionsnummern arbeitet, dann muss man auch an die damit verbundenen Entwicklungsstadien und Meilensteine berücksichtigen.
Bei jeder App-Entwicklung steht am Anfang eine Vision. Aus der wird das Entwicklungsziel formuliert und für Präsentationszwecke aufbereitet. In diesem Stadium (also im Vergleich mit Software-Entwicklung in der „pre-α-Version“) scheint sich Bio 3.0 zu befinden. Bis aus 2.0 effektiv 3.0 wird, sind noch diverse Schritte zu durchlaufen, Funktionen und Kompatibilitäten zu testen und Fehler auszumerzen (10). Ist das möglich? Ist Bio 3.0 eine erreichbare Vision, ein sinnvolles Ziel? Oder wird mit Versionsnummern Bio seines Sinnes beraubt?
Bio steckt in einem Dilemma zwischen menschgemachten Systemen wie der Wirtschaft, die Wachstum brauchen, und natürlichen Systemen, deren Wachstum begrenzt ist. Was wir brauchen, ist nicht eine Produktionssteigerung, nicht mehr (Bio)produkte. Sondern bewussteren Verbrauch.
Bio kann nicht auf Zahlen reduziert werden.Bio kommt von Biologie, und bei der geht es um die lebendige Natur, um Leben.
Quellen und weiterführende Links:
- Bio 3.0 – zweiter Entwurf
- Vom 12.–13. Oktober findet eine EU-Sitzung über Biolandwirtschaft Standards statt
- Buchtipp: Die Wegwerfkuh. Wie unsere Landwirtschaft Tiere verheizt, Bauern ruiniert, Ressourcen verschwendet und was wir dagegen tun können
- «Auf der Suche nach 0,10»: Ausstellung in der Fondation Beyeler
- Arte, 03.06.2014: Die Bio Illusion, Dokumentarfilm von Christian Jentzsch


