Ernährungssicherheit war für die ganze Menschheit während praktisch ihrer ganzen historischen Existenz das dominierende Thema. Seit wenigen Jahrzehnten hat sich dies in den westlichen Industrieländern geändert. Verschiedene Dinge machen es heute fast unmöglich, ernsthaft in der Politik über Ernährungssicherheit zu sprechen:
- Niemand hierzulande weiss mehr, was Hunger ist.
- Viele Leute meinen, es gehe bei der Agrarpolitik um ein grosses Sozialprojekt für die Bauern, statt zu erkennen, dass es um die Ernährung der Konsumenten selber geht.
- Der geringe Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandprodukt (wegen den von marktmächtigen Unternehmen erzwungenen Preissenkungen) wird heute – welch Widerspruch ! – von denselben Kreisen als Argument gegen die Landwirtschaft missbraucht: Die Landwirtschaft, der wohl wichtigste Pfeiler einer gesicherten Ernährung, sei inzwischen so wertschöpfungsarm, dass sie, zumindest als Lebensmittelproduzent, eigentlich in grossen Teilen entbehrlich wäre.
- Auch die Tatsache, dass wir nie 100% autark sein können, wird dazu missbraucht, gleich die ganze Diskussion um die Ernährungssouveränität pauschal abzutun.
- Und für viele hat sich das überholte und heute irreführende Bild eingeprägt, Nahrungsmittelströme seien nur im Fall eines militärischen Krieges gestört. Da es heute keinen Krieg gäbe, erübrige sich die weitere Diskussion. – Damit blenden diese Leute aber alle weiteren Störungen im Ressourcenhandel ausserhalb und unterhalb der Kriegsschwelle einfach aus. Napoleon musste 1798 noch in die Schweiz einmarschieren, um die bernische Staatkasse zu stehlen. Die heutigen Technologien und die Verletzlichkeit aus systemischen Abhängigkeiten ermöglichen längst ein viel subtileres Vorgehen zur Durchsetzung eigener Interessen! Bekanntlich ist Öl, bei Auslandabhängigkeit aber noch vielmehr Nahrung, ein hervorragendes Pfand zur subtilen Erpressung für politische Forderungen.
Daher rührt u.a. der Widerstand gegen eine ernsthafte Diskussion um Ernährungssicherheit. – In Wahrheit läuten aber auch in der Schweiz, bei nur noch ca. 50% Selbstversorgung, die Alarmglocken – trotz der inzwischen üblich gewordenen Geringschätzung für die Nahrung.
Da ist einmal die Verknappung zu nennen. Die Weltbevölkerung wächst rascher als die Produktion mithalten kann, und der wachsende Wohlstand in einigen Ländern führt dazu, dass sich die Ernährungsgewohnheiten ändern, und die Leute sich viel rohstoffintensivere Nahrungsmittel wie z.B. Fleisch kaufen können.
Und: Wie sicher ist es eigentlich, dass die Transport- und IT-Technologien vom Ausland in die Schweiz immer funktionieren, so dass wir uns nicht mehr selber um die Sicherung der Ernährung im Inland zu kümmern hätten? Computerausfälle, Umweltemissionen und Ölverknappung sind erhebliche Risiken für die Zukunft es Transportwesens.
Laut Wirtschaftsexperten sei die Ernährungssicherheit trotzdem vielmehr mit „Importfähigkeit“, statt mit „eigener Landwirtschaft“ zu garantieren. – Das setzt jedoch ein kooperatives Umfeld voraus. – Wie harmonisch und kooperativ ist aber unser Umfeld? Prof. Dani Rodrik der Harvard-University warnt seit Jahren vor dem sogenannten Globalisierungsparadox bzw. dem „globalen Trilemma“: Wirtschaftliche Globalisierung ist letztlich nämlich nur um den Preis von nationalstaatlicher Autonomie oder demokratischer Verhältnisse zu haben. Alle drei sind gleichzeitig nicht möglich. – Das ist allerdings „dicke Post“! Wer – wie es heute geschieht – möglichst grosse Wirtschafts- inkl. Währungsräume anstrebt, muss sich also entscheiden, die nationalstaatliche Autonomie, oder aber das demokratische Mitspracherecht der Bürger einzuschränken. Und wer umgekehrt Nationalstaat und Demokratie verteidigen will, gerät unweigerlich in gewaltige Konflikte mit den Globalisierungstreibern. Hier hat die Globalisierung – nebst unbestreitbaren Vorteilen – ungewollt ein sicherheitspolitisch höchst gefährliches Minenfeld geschaffen!
Das tönt in dieser Kürze natürlich sehr abstrakt. Was heisst es denn konkret? Es seien flashartig nur einige Symptome genannt: Die gigantische Verschuldung in der Eurozone oder der USA löste Nöte aus, die viele angebliche Freunde in der Verfolgung ihrer Interessen plötzlich z.B. zu Erpressern mit grauen Listen, zu Datendieben oder zu unzuverlässigen Rechtsbrechern machte (man nehme nur den ungeheuren Fall des EU-Verfassungsbruchs betr. Verbot der Haftungsunion). Oder sie wurden Institutionen, die von uns öffentlich die automatische, und eben nicht mehr demokratisch abgesegnete, einseitige Übernahme ihres Rechts verlangen (euphemistisch „Institutionelle Fragen“ genannt). Auch Zypern musste sich jüngst gegenüber der EU entscheiden: Sollte der Staat sich durchsetzen, und damit seine Bürger bluten lassen – oder setzt er sich für Letztere ein – und gerät damit als Nation unter vermehrten Druck der EU? Unsere angeblichen Freunde vernichten heute quasi per Fernbedienung Banken bei uns, und verlangen sogar rückwirkende Rechtsänderungen. Supranationale Organisationen wie die EU (genauer: Der EU-Rat in seiner Forderung vom 5.12. 2012) verlangen heute – in der Kriese – in hegemonialer Manier gemäss der Logik des Globalisierungsparadoxons, dass die nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten ihre Souveränität weitgehend der EU abtreten sollen – also ihre staatliche Autonomie schwächen sollen.
Stellen Sie sich all diese Fakten doch mal vor. So etwas kann doch nicht ohne Folgen bleiben! Sei es für die bisher selbständigen Nationalstaaten, die ihre Autonomie verteidigen wollen – oder wenn sie sich fügen, dann eben durch die Bevölkerung, die zunehmend durch Streiks, Grossdemonstrationen, Protestwahlen oder gar Gewalt die Demokratie zu verteidigen suchen. Oder für die Grosssysteme, die unterzugehen drohen, wenn sie nicht entweder die Nationen, oder die Bevölkerung hinter sich bringen. – Nur logisch, dass sich da auch unsere Armeespitze z.B. auf Flüchtlingsströme in Europa als mögliche Folge all dieser Entwicklungen vorbereitet (Stabilo Due). Dafür wird sie aber heftig kritisiert… Warum eigentlich ?
Wir haben doch diese Konfliktherde um uns herum. Und wir wissen insbesondere nicht, wo sie noch hinführen (da z.B. schon „nur“ die Schulden nie werden zurückbezahlt werden können). Warum diese Konflikte nicht konkret benennen? Wir sind – und waren – nie von Freunden umzingelt, sondern immer von Interessenvertretern.
Was hat das alles mit Ernährungssicherung zu tun ? Es bedeutet, dass wir alle, insbesondere aber auch marktmächtige Unternehmen, von denen die Landwirtschaft abhängig ist, sich auch in ihrem eigenen Interesse Gedanken machen müssen, ob dies wirklich das kooperative Umfeld ist, das ausgerechnet der Schweiz in Notzeiten jederzeit und ohne Auflagen (!) Nahrungsmittel aus dem Ausland bescheren würde – oder überhaupt könnte!
Lassen Sie mich zu einer zusammenfassenden Lagebeurteilung kommen:
Wir sollten endlich aufhören zu sagen, wir bräuchten eine eigene Ernährungssicherung für den Fall eines Weltkrieges. Wir brauchen eine eigene Nahrungsmittelversorgung, weil
- sich Nahrungsmittel v.a. durch Bevölkerungswachstum und ungleichmässigen Wohlstandszuwachs (Ernährungsgewohnheiten) weltweit verknappen,
- die Zukunft des Transportwesens ungewiss ist (Ölverknappung, Umwelt, IT, etc.), und
- weil Störungen im internationalen Handel – auch ohne Weltkrieg – üblich sind.
Was könnten denn mögliche Handlungsachsen sein, um zu mehr Ernährungssicherheit in der Schweiz zu kommen? – Ich möchte, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, einige davon nennen.
- Wir brauchen eine produzierende Landwirtschaft. Die Produktion darf ergänzt, aber nicht durch Zusatzaufgaben eingeschränkt werden.
- Wir brauchen v.a. Präventionsmassnahmen in der Landesversorgung: Nebst den Pflichtlagern als Puffer gehören v.a. resistente Strukturen zur Stabilität eines jeden Systems. Ich rate diesbezüglich, weniger den flotten Begleitbericht, als vielmehr die Lücken im Entwurf des neuen Landesversorgungsgesetztes genau zu studieren! (Vernehmlassung bis 31.5.).
- Die Ernährungssicherung muss gefährdungs– und nicht budgetgesteuert erfolgen.
- Unsere Importabhängigkeit, z.B. bei Getreide, ist dringend zu reduzieren, nach dem Grundsatz „Boden und Ernährung gehören zusammen“. Auch das VBS betont immer häufiger, dass Importabhängigkeit gerade bei Lebensmittel erpressbar macht.
- Kritische Bereiche sind zu protektionieren, dort, wo der Markt das selber nicht tun kann. Die bisher unterscheidungslosen Diffamierung des Begriffs „Protektion“ und Verherrlichung des Begriffs „Marktwirtschaft“ ist zu ersetzen durch die Aufklärung, wo eher Marktwirtschaft, und wo eher Protektion geeignet ist, gesellschaftspolitische Ziele zu erreichen.
- Räumlich, branchenmässig und betrieblich dezentrale Strukturen (inkl. Verarbeitung) sind zu fördern, da sie sicherheitsmässig überlegen sind.
- Eine kluge Raumplanung muss ausreichend Ackerflächen guter Qualität erhalten.
- Die „Schoggigesetz“-Zahlungen sind (mindestens) WTO-kompatibel umzusetzen, da v.a. die Reduktion dieser Mittel den Konflikt zwischen Landwirtschaft und Industrie schürt.
- Die Migrationspolitik muss künftig Erwägungen der Ernährungssicherheit berücksichtigen.
- Die reale Welt darf von Politikern und Verwaltung nicht mehr mit den ökonomischen Schönwetter-Modellen verwechselt werden. Dort kamen bis vor Kurzem nicht einmal fundamentalen Störungen im Zahlungsverkehr vor, geschweige denn im internationalen Warenverkehr. – In der realen Welt gibt es solche Störungen aber leider zu Hauf.
PS: Dies ist übrigens kein Wunschkatalog für die Bauern, sondern ein Anforderungskatalog für Konsumenten, Unternehmen und den Staat – in freiheitlichen Verhältnissen!

