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Agrarpolitik 2014-2017

Wir freuen uns, mit dem ersten Gastbeitrag in diesem noch jungen Blog gleich das momentan wichtigste agrarpolitische Thema aufnehmen zu können:  Nach Ende der Vernehmlassung und vor der grossen Diskussion in den Räten hat Herr Conrad Widmer, Leiter des Fachbereichs Agrarpolitik im Bundesamt für Landwirtschaft BLW uns einen wichtigen Beitrag zur Information, Diskussion und Meinungsbildung geschickt ( zur druckbaren PDF-Version >>>)

Möchten Sie spezifisch zu einem der Kapitel einen Kommentar beitragen, klicken Sie sich bitte auf dem nachstehenden Inhaltsverzeichnis auf die Einzelseiten; generelle Diskussionsbeiträge zur AP 14-17  machen Sie bitte am Ende dieser Seite.

  • 1. Welche Bilanz kann man 10 Jahre nach Inkrafttreten des neuen Landwirtschaftsgesetzes ziehen?

    Die landwirtschaftliche Produktion hat zugenommen. Im Durchschnitt der Jahre 2006/2008 wurden 3,4 Prozent mehr Nahrungsmittelkalorien produziert als 2000/02 (Bruttokalorienproduktion). Gleichzeitig haben die Futtermittelimporte zugenommen. Deshalb ist bei der Nettokalorienproduktion (Bruttoproduktion minus Futtermittelimporte) ein geringerer Anstieg von einem Prozent zu verzeichnen. Der Bruttoselbstversorgungsgrad liegt bei rund 60 Prozent.

    Die wirtschaftliche Lage der Landwirtschaft hat sich leicht verbessert. Der Vergleich zwischen dem Arbeitsverdienst aller Betriebe und jenem der übrigen Bevölkerung zeigt, dass zwar nach wie vor eine wesentliche Lücke vorhanden ist, die Differenz zur übrigen Bevölkerung zwischen 2000/02 und 2007/09 jedoch um 6 Prozentpunkte auf 40 Prozent reduziert werden konnte. Die Einkommensdifferenzen haben sich in allen Regionen verringert, wobei sie in der Bergregion nach wie vor am höchsten ist.

    Die landwirtschaftlich genutzte Fläche hat abgenommen. Jährlich gingen rund 2’700 ha (Fläche von 100 mittelgrossen Landwirtschaftsbetrieben) durch Überbauung für die Nahrungsmittelproduktion verloren. In den oberen Bergzonen und im Sömmerungsgebiet fand zudem ein namhafter Waldeinwuchs statt.

    Die Landwirtschaft wurde umweltfreundlicher, die Ziele sind aber noch nicht erreicht. Insgesamt konnte der Rückgang der gefährdeten Arten zwar nicht gestoppt, aber zumindest verlangsamt werden. Die Zielsetzung von 65 000 Hektaren ökologischer Ausgleichsflächen im Talgebiet wurde noch nicht erreicht. Zudem besteht nach wie vor Handlungsbedarf bei der Qualität. Nachdem in den neunziger Jahren deutliche Verbesserungen im stofflichen  Bereich realisiert wurden, haben die Fortschritte in den letzten 10 Jahren stagniert. Die Ziele für Phosphor und Stickstoff wurden noch nicht erreicht

    Die Nutztiere werden tierfreundlicher gehalten. Im Jahr 2009 wurden rund 44 Prozent der Tiere in besonders tierfreundlichen Stallsystemen (BTS) gehalten und 72 Prozent hatten regelmässigen Auslauf ins Freie (RAUS). Von den neu gebauten Rindviehställen, die mit Investitionshilfen unterstützt werden, entsprechen rund 90 Prozent den BTS-Anforderungen.

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  • 2. Vor welchen Herausforderungen steht die Land- und Ernährungswirtschaft?

    Die globale Weltbevölkerung steigt bis 2025 auf voraussichtlich über 8 Milliarden an. Entsprechend steigt der Bedarf an Nahrungsmitteln. Die Bereitstellung von Nahrungsmitteln in ausreichender Menge und Qualität ist deshalb auf globaler Ebene eine zentrale Herausforderung der Zukunft. Auch die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft muss dazu ihren Beitrag leisten.

    Mittelfristig ist mit einem weiteren Abbau der handelsverzerrenden stützung und der Zölle zu rechnen, auch wenn multilaterale Verhandlungen zurzeit stocken. Um weitere Marktöffnungen erfolgreich bewältigen zu können, muss die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft die Zeit zu nutzen, um ihre Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit weiter zu verbessern.

    Gute landwirtschaftliche Böden und Produktionsmittel wie Phosphordünger oder Treibstoffe werden knapp. Die Schweiz hat weniger ackerbaulich nutzbaren Boden je Einwohner als das bevölkerungsreiche China. Der Schutz der landwirtschaftlichen Kulturflächen und der effiziente Einsatz von Produktionsmitteln gewinnen an Bedeutung.

    Nachhaltiger Konsum dank informierten Konsumentinnen und Konsumenten. Die Schweiz ist auf Nahrungsmittelimporte angewiesen. Es ist wichtig, dass auch die importierten Nahrungsmittel sozial und ökologisch nachhaltig produziert werden. Eine Zerstörung der Produktionsgrundlagen in den Exportländern hat auch negative Auswirkungen auf die Versorgungslage in der Schweiz. Es ist wichtig, die Konsumentinnen und Konsumenten besser über die Auswirkungen ihres Konsumverhaltens zu informieren.

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  • 3. Welche Strategie verfolgt der Bund?

    Der Bundesrat schlägt in der Vernehmlassungsunterlage zur Agrarpolitik 2014-2017 (AP 14-17) im Zeithorizont 2025 folgende Strategiescherpunkte vor:

    • Sichere und wettbewerbsfähige Nahrungsmittelproduktion und –versorgung gewährleisten.
    • Ressourcen effizient nutzen und verantwortungsbewussten Konsum fördern.
    • Vitalität und Attraktivität des ländlichen Raums stärken.
    • Innovation und Unternehmertum in der Land- und Ernährungswirtschaft fördern.

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  • 4. Welche Ziele sollen bis 2017 erreicht werden?

    Aufbauend auf der Bilanz, den zukünftigen Herausforderungen und der Strategie schlägt der Bundesrat für die Zeitperiode 2014-2017 folgende quantifizierte Ziele vor:

    Zielbereich Aspekt Stand 2006/08 Ziel 2017
    Sichere Versorgung Bruttoproduktion 23 400 TJ 24 000 TJ
    Nettoproduktion 20 800 TJ 21 700 TJ
    Landwirtschaftlich genutzte Fläche im Dauersiedlungsgebiet -1 900 ha pro Jahr Reduktion des Flächenverlusts auf unter 1 000 ha pro Jahr
    Natürliche Lebensgrund-lagen /Ökologie Phosphoreffizienz 56 % 62 %
    Stickstoffeffizienz 28 % 32 %.
    Ammoniakemissionen 49 000 t N 43 000 t N
    Quantität BFF 58 800 ha BFF im Talgebiet 65 000 ha BFF im Talgebiet
    Qualität der BFF 33 % der BFF vernetzt,25 % der BFF mit Qualität 50 % der BFF vernetzt,40 % der BFF mit Qualität
    Kulturland-schaft Landwirtschaftlich genutzte Fläche im Alpwirtschaftsgebiet -1 470 ha pro Jahr Reduktion des Waldeinwuchses um 20 %
    Tierwohl Beteiligung Jungvieh an RAUS-Programm weibliche Tiere: 36 %männliche Tiere: 26 % weibliche Tiere: 44 %männliche Tiere: 34 %
    Ökonomie Arbeitsproduktivität +2,0 % pro Jahr +2,0 % pro Jahr
    Kapitalerneuerung 30 Jahre 30 Jahre
    Soziales Arbeitseinkommen pro Arbeitskraft +1,4 % pro Jahr +1,6 % pro Jahr

    BFF = Biodiversitätsförderflächen; N= Stickstoff, TJ = Terrajoules

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  • 5. Was soll im Landwirtschaftsgesetz geändert werden?

    Verstärkte Ausrichtung der Land- und Ernährungswirtschaft auf eine Qualitätsstrategie: Die Schweizer Landwirtschaft ist seit längerem bestrebt, ihre Produkte nach qualitativ hochstehenden Massstäben herzustellen. Aber erst angesichts der sich öffnenden Märkte wurde in den letzten Jahren erkannt, dass eine noch konsequentere Ausrichtung auf eine Qualitätsstrategie massgeblich zu einer erfolgreichen Positionierung der Schweizer Produkte auf in- und ausländischen Märkten und somit zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit beitragen kann. Mit der expliziten Aufnahme dieses zentralen Themas in der AP 14-17 und der Verstärkung der entsprechenden Instrumente soll der Bund die Aus-richtung der Land- und Ernährungswirtschaft auf eine gemeinsame Qualitätsstrategie noch gezielter unterstützen können.

    Gezielte Förderung von gemeinwirtschaftlichen Leistungen: Das Kernelement der AP 14-17 ist die Weiterentwicklung des Direktzahlungssystems. Grundsätzlich wurden mit der Einführung des heutigen Direktzahlungssystems Verbesserungen in den Bereichen Ökologie und Tierwohl erreicht. Die Hauptschwäche des heutigen Direktzahlungssystems ist jedoch die mangelnde Effizienz. Die Direkt-zahlungen sind zu wenig auf die Förderung der von der Gesellschaft gewünschten gemeinwirtschaftli-chen Leistungen ausgerichtet. Um eine möglichst hohe Wirksamkeit und Effizienz der Direktzahlungen zu erreichen, muss ein klarer Bezug zwischen den Zielen und den darauf ausgerichteten Instrumenten hergestellt werden. Deshalb soll mit dem weiterentwickelten Direktzahlungssystem jede gemeinwirt-schaftliche Leistung gemäss Art. 104 der Bundesverfassung mit einem spezifischen Direktzahlungs-instrument gefördert werden, diese sind jeweils nach deren Hauptzielsetzung benannt:

    • Kulturlandschaftsbeiträge zur Offenhaltung der Kulturlandschaft: Kulturlandschaftsbeiträge sollen eine möglichst flächendeckende Bewirtschaftung der land- und alpwirtschaftlichen Flä-chen sicherstellen und so den Waldeinwuchs verhindern.
    • Versorgungssicherheitsbeiträge zur Erhaltung einer sicheren Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln: Mit Versorgungssicherheitsbeiträgen soll die Produktionskapazität für den Fall von Versorgungsengpässen aufrechterhalten werden. In Normalzeiten soll primär die Nachfrage des Marktes ausschlaggebend sein, wovon wie viel produziert wird. Die lenkende Wirkung der Direktzahlungen soll daher möglichst gering gehalten werden.
    • Biodiversitätsbeiträge zur Erhaltung und Förderung der Artenvielfalt: Im Bereich Biodiversität sind die Instrumente bereits heute zielgerichtet. Die vorgeschlagenen Änderungen bezwecken eine stärkere Fokussierung auf die Qualität und eine Vereinfachung des Vollzugs. Zudem sol-len neu auch Biodiversitätsbeiträge im Sömmerungsgebiet ausgerichtet werden.
    • Landschaftsqualitätsbeiträge zur Erhaltung, Förderung und Weiterentwicklung vielfältiger Kul-turlandschaften: Bisher konnten regionale Leistungen zugunsten von vielfältigen Landschaften nur begrenzt und indirekt über andere Direktzahlungsinstrumente gefördert werden. Land-schaftsqualitätsbeiträge ermöglichen neu die gezielte Erhaltung traditioneller Kulturlandschaf-ten und die Weiterentwicklung neuer Landschaften.
    • Produktionssystembeiträge zur Förderung besonders naturnaher, umwelt- und tierfreundlicher Produktionsformen: Mit besonders naturnahen, umwelt- und tierfreundlichen Produktionsfor-men trägt die Landwirtschaft zur Verbesserung im Umweltbereich und beim Tierwohl bei. Heu-te werden die extensive Produktion von Getreide und Raps, der biologische Landbau und die Tierwohlprogramme BTS und RAUS mit Beiträgen gefördert. Diese besonderen Leistungen sollen auch künftig mit sogenannten Produktionssystembeiträgen unterstützt werden. Neu soll zudem die graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion gefördert werden.
    • Ressourceneffizienzbeiträge zur Förderung einer effizienten Nutzung der natürlichen Ressourcen: Mit Ressourceneffizienzbeiträgen sollen auf nationaler Ebene die für die landwirtschaftliche Produktion benötigten Ressourcen wie Boden, Wasser und Luft nachhaltig genutzt sowie die eingesetzten Produktionsmittel wie Stickstoff, Phosphor, Pflanzenschutzmittel oder Energie effizienter eingesetzt werden. Das neue Instrument fördert auf nationaler Ebene die breitflächige Einführung von zielführenden Techniken.
    • Anpassungsbeiträge zur Gewährleistung einer sozialverträglichen Entwicklung: Mit den An-passungsbeiträgen soll ein sozialverträglicher Übergang vom heutigen zum weiterentwickelten Direktzahlungssystem ermöglicht werden.

    Als Voraussetzung für die Ausrichtung von Direktzahlungen sind weiterhin der ökologische Leistungs-nachweis (ÖLN) und die Anforderungen an die landwirtschaftliche Ausbildung zu erfüllen.

    Besserer Schutz des Kulturlandes: Die Massnahmen zugunsten des Kulturlandschutzes sollen ergänzend zu den über das Raumplanungsgesetz geplanten Massnahmen verstärkt werden. Der be-reits heute bestehende Grundsatz, dass für Flächen in rechtskräftig ausgeschiedenen Bauzonen keine Direktzahlungen ausgerichtet werden, soll auf Gesetzesstufe verankert werden. Zudem soll das Behördenbeschwerderecht erweitert werden, so dass bei der Beanspruchung von Fruchtfolgeflächen eine korrekte Interessenabwägung durch eine unabhängige Gerichtsinstanz erfolgen kann.

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  • 6. Welche Finanzmittel sollen bereitgestellt werden?

    Auch in der nächsten Vierjahresperiode sollen für die Finanzierung der agrarpolitischen Massnahmen die drei Zahlungsrahmen Grundlagenverbesserung und Sozialmassnahmen, Produktion und Absatz sowie Direktzahlungen massgebend sein. Den wichtigsten Zahlungsrahmen bilden die Direktzahlungen, für die gut 80 Prozent der gesamten Mittel eingesetzt werden sollen. Es sind gegenüber heute keine Mittelverschiebungen zwischen den Zahlungsrahmen vorgesehen. Das Budget für die Marktstützung soll auf dem Niveau der Vorjahre weitergeführt werden.

    (in Mio. Fr.)

     2011

    2012

    2013

    2014

    2015

    2016

    2017

    Total

    Grundlagenverbesserung und Sozialmassnahmen

    149

    194

    194

    189

    189

    190

    190

    758

    Produktion und Absatz

    442

    419

    418

    412

    412

    412

    412

    1648

    Direktzahlungen

    2 799

    2 812

    2 813

    2 816

    2 816

    2 816

    2 816

    11 264

    Total

    3 389

    3 425

    3 425

    3 417

    3 417

    3 418

    3 418

    13 670

  • 7. Welche Auswirkungen werden bis 2017 erwartet?

    Stärkung der pflanzenbaulichen Produktion: Die Ergebnisse von Modellrechnungen zeigen, dass mit der AP 14-17 beim Futtergetreide ein Produktionsanstieg um rund 10 Prozent erfolgt. In der Rindviehhaltung ist wegen dem Wechsel von produktionslenkenden Tierhaltungsbeiträgen auf produktionsneutralere Versorgungssicherheitsbeiträge ein Rückgang von rund 8 Prozent zu erwarten. Insgesamt führt die AP 14-17 zu einer leichten Verlagerung von der tierischen zur pflanzlichen Produktion. Die Nahrungsmittelproduktion nimmt bis 2017 um rund 5 Prozent zu. Da die Futtergetreideproduktion ausgedehnt wird, sinkt der Kraftfutterimport um knapp 10 Prozent.Erhöhung der Ressourceneffizienz: Positive Auswirkungen werden auch im ökologischen Bereich (Biodiversität, Stickstoff-, Phosphor- und Ressourceneffizienz) erwartet. Zudem leistet die Agrarpolitik 2014-2017 auch einen Beitrag zur Reduktion des Kulturlandverlusts und führt zu einer Aufwertung der Landschaftsqualität.Verbesserung der Einkommen: Gemäss den Modellberechnungen wird das Einkommen des gesamten Agrarsektors im Jahr 2017 rund 2 520 Millionen Franken betragen. Es liegt damit um hundert Millionen Franken höher als wenn die heutigen Instrumente unverändert weitergeführt werden. Am stärksten ist der Einkommensanstieg in der Bergregion. Auch in der Tal- und in der Hügelregion prognostizieren die Modellrechnungen Einkommenssteigerungen.

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  • 8. Wie geht es weiter?

    Vom 23. März bis am 29. Juni 2011 hat der Bundesrat eine Vernehmlassung zur AP 14-17 durchgeführt. Es wurden rund 680 Stellungnahmen eingereicht. Der Ansatz, das Direktzahlungssystem noch stärker auf die Ziele auszurichten, wurde grundsätzlich unterstützt. Unterschiedliche Ansichten gab es jedoch bezüglich Verteilung der Mittel auf die einzelnen Direktzahlungsarten. Während die einen die Versorgungssicherheit stärker unterstützen möchten, sehen andere die Prioritäten eher im Bereich Ökologie und Tierwohl.

    Ende dieses Jahres wird der Bundesrat einen Auswertungsbericht zur Vernehmlassung publizieren und voraussichtlich Anfang 2012 dem Parlament eine Botschaft unterbreiten. Das Inkrafttreten der Gesetzesänderungen, der Ausführungsbestimmungen und des neuen Zahlungsrahmens ist auf den 1. Januar 2014 geplant.

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  1. H.D. Antworten

    Was mir im Artikel auffiel sind zwei Dinge:

    A) Aussenhandelspolitik

    Es wird von sich weiter öffnenden Märkten als sicheres Faktum ausgegangen. – Wir beobachten aber seit Jahren sektoriell immer wieder genau das Gegenteil: Wenn die Versorgung knapp wird, wächst regelmässig (übrigens seit Jahrhunderten) der Protektionismus und die Grenzen gehen zu (z.B. Russland beim Getreide 2010, oder rund 40 Länder nach den Missernten 2008). Zudem wird die Versorgungsunterbrechung auch gezielt als Druckmittel eingesetzt (z.B. Gasleitung in Ukraine). Staatsinterventionen in die Wirtschaft häufen sich, aktuell nun auch im Finanzsektor, wo z.B. gerade der Devisenfreihandel ausser Kraft gesetzt wird.

    Und mit Blick in die Zukunft stellen wir fest, dass

    1. das Nahrungsangebot im Verhältnis zur Nachfrage weltweit immer knapper wird,

    2. die Zukunft des Transportwesens, eine unabdingbare Voraussetzung für Handel, immer ungewisser wird (Öl, nun noch verschärft durch Atomausstieg, Emissionen, ins Extrem gesteigerte Internetabhängigkeit der Logistikketten unter dem Diktat der Effizienz, etc.) und

    3. die Kooperationsbereitschaft unter den Handelsakteuren (Staaten und Privaten) abnimmt, und künftig sogar mit grössten Herausforderungen mit ungewissem Ausgang konfrontiert ist (z.B. durch die historisch grosse Verschuldung ohne Möglichkeit der Amortisation, die spaltende Euro-Krise, Zunahme der Rechtsbrüche internationaler Verträge durch die EU innerhalb der EU selbst, Verrohung des Rechts durch den Einsatz schwarzer Listen und anderer Drohmittel, Machtverschiebung von den USA Richtung China, ungeahnte Zunahme der Gewalttätigkeiten in Afrika und dem nahen Osten, Migrationsprobleme, etc.).

    Die reiche Schweiz mit relativ tiefer Verschuldung und Migrationszuwachs muss sich unter diesen Vorzeichen paradoxerweise darauf vorbereiten, dass sie sich künftig immer weniger auf ein stabiles System mit offenen Grenzen und Kooperationsbereitschaft verlassen kann. Sie muss in der Zukunftsplanung vielmehr davon ausgehen (oder sich mindestens vorbereiten), dass

    – bei steigender Nahrungsnachfrage die Ernten mit zunehmenden Wetterextremen gleichzeitig unregelmässiger ausfallen werden,

    – dass die bisher problemlosen Lebensmitteltransporte ganz nachhaltige Beeinträchtigungen erfahren dürften,

    – sensible Geschäfte – und dazu gehört zweifelsfrei die Ernährung – mit ausländischen oder marktmächtigen Playern mitAuflagen verbunden werden dürften (wie der VBS-Chef kürzlich warnte).

    Relevant ist also nicht, ob die Schweiz in letzter Zeit mehr Kalorien produziert hat und der Brottoselbstversorgungsgrad 60% (netto aber nur 54%; einer der tiefsten Selbstversorgungsgrade weltweit übrigens) war. Vernünftigerweise interessiert nur, ob sie künftig relativ ausreichend Kalorien (und in der richtigen Zusammensetzung, d.h. Anteil Kohlenhydrate, Eiweiss und Fett) produzieren kann, und zwar auch dann, wenn das System in instabilere Phasen tritt (wie sie die obgenannten Indikatoren anzeigen) und die Importfähigkeit als sichere Grösse eben unsicher (oder mit Auflagen verbunden) sein wird, und die nur überbrückenden Pflichtlager aufgebraucht sind.

    B. Commodity-Problematik

    Offenbar berücksichtigt das BLW weiterhin nicht die Tatsache, dass die Qualitätsstrategie für Nischenprodukte hervorragend ist, jedoch bei Commodities (homogenen Massengütern) gerade wegen deren Natur nicht anwendbar ist. Eine reine Qualitätsstrategie führt dazu, dass die Schweiz nur noch das produziert, was sie am besten kann, und der Rest importiert werden muss.

    Da die Schweiz im Bereich der Massengüter nie diejenige Konkurrenzfähigkeit erreichen kann wie Länder, die a) eine günstigere Topographie, b) grössere zusammenhängende Flächen, c) weniger strenge Vorschriften und v.a. d) ein günstigeres Kostenumfeld (Hochlohninsel Schweiz!) haben, wird die Porduktion homogener Massengüter bei einer reinen Qualitätsstrategie zunehmend aus der Schweiz verdrängt. Das ist aber daher problematisch, weil ausgerechnet die Grundnahrungsmittel (z..B. aus Getreide) homogene Massengüter sind.

    Der Schutz der Commodities und deren inländischer Verarbeitung kann mit einer reinen Qualitätsstrategie aus ökonomischen Gründen nicht beigekommen werden. Hier wäre das BLW vermehrt zu sensibilisieren und die Landwirtschaftspolitik um eine weitere, wesentliche Komponente für die Commodities zu ergänzen.

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