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Kritik an Agrarökologie

Mehrheitlich fand die Tagung zum Thema Agrarökologie zum Welternährungstag auf positive Reaktionen. Doch Hans Bieri, Geschäftsführer der Schweizerischen Vereinigung Industrie und Landwirtschaft übt herbe und zum Teil durchaus berechtigte Kritik am Konzept Agrarökologie.   Eine Zusammenfassung seiner ausführlichen Erörterungen.

«Was ist die richtige Nachhaltigkeitsstrategie?» fragt Bieri in seiner Replik ans Agrarinfo. Professor Urs Niggli, Direktor des Forschungsinstitutes für Biologischen Landbau zum Beispiel propagiere Suffizienz – sprich Konsumreduktion – als unerlässlich für eine nachhaltige Landwirtschaft. «Suffizienz», so Hans Bieri «wird auch immer deutlicher zum Argument in den Bestrebungen zur Dekarbonisierung (Verzicht auf fossile Rohstoffe) und Deindustrialisierung.» Bieri kritisiert, dass Urs Niggli eine, für neue Technologien und gemässigten Pestizid- und Düngemitteleinsatz  offene Agrarökologie im Gegensatz zur Biolandwirtschaft sehe.  Weil nach Nigglis Ansicht der Biolandbau nur spezielle, zahlungskräftige, Märkte bediene. Bieri hält dagegen, dass sich im Biolandbau eben auch zeige, dass es sehr schwierig ist, in einer nichtnachhaltigen Gesamtwirtschaft eine nachhaltige Insel zu sichern. «Das Problem ist nach wie vor die nichtnachhaltige Wachstumswirtschaft und nicht die Landwirtschaft. Was also soll die vorgeschlagene Hinwendung zu einer ‘umfassenderen Agrarökologie’ an diesem Konflikt ändern? Die ‘Agrarökologie’ als neuer Ansatz kann den grundlegenden Konflikt zwischen Industrie und Landwirtschaft auch nicht lösen.»

Die Agrarökologie, so Bieri weiter, verstehe sich als Bewegung. Die gesamte Gesellschaft sei ihre «Systemumgebung». Dieser werden von NGOs einschneidende Nachhaltigkeitsziele verpasst. «Die Volkswirtschaften sollen dann sehen, wie sie damit umgehen beziehungsweise zurechtkommen sollen.» Dabei würden die Ursachen der herrschenden Verschleisswirtschaft weder analysiert noch behoben.

  • NGO-Erfolgsmodelle nicht Aussagekräftig

    Bieri bemängelte, dass bei der Tagung Sanierungs- und Verbesserungseingriffe nördlich und südlich der Sahara als Erfolgsmodelle geschildert wurden. Angeleitet durch NGOs konnten die Ernteerträge zum Teil zwar auf Anhieb verdoppelt werden. Aber die Verdoppelung der Erträge bei der vorhandenen Ausgangslage sei relativ leicht möglich. «Doch auch die so verdoppelten Erträge bleiben immer noch weit unterhalb der Erträge der hilfsstoffbasierten Landwirtschaft.» Wolle man die benötigte Mengensteigerung ohne ökologische Schäden erreichen, bedinge dies die Reorganisation der Gesamtwirtschaft eines Landes.

  • Agrarökologie ignoriert Volkswirtschaft

    Das Ernährungssystem würde trotz Digitalisierung mehr Arbeitskräfte benötigen. Dazu brauche es wiederum Umschichtungen, die die gesamte Volkswirtschaft betreffen. Die Agrarökologie umfasse aber nur Produktion und Konsum der Lebensmittel. Sie plädiert für flachere Strukturen und regionalere Strukturen, ähnlich den sogenannten «Commons». Commons beschreiben gemeinsinnige Organisationsformen und eine grundsätzlich andere Art des Seins und Produzierens. Es gibt sie überall auf der Welt in traditioneller wie moderner Form. Commons-Organisationen sind etwa die Mundraub-Plattform, den Kartoffelpark in Peru, das internationale System of Rice Intensification, das globale Low-Tech Projekt Open Source Ecology, die neue «Open Source» Lizenz für Saatgut, Terre de Liens in Frankreich, die Kulturland e.G. in Deutschland, die Vertragslandwirtschaft in vielen Ländern der Erde, die us-amerikanischen Lebensmittelräte um nur einige zu nennen. Die Idee der Commons wurde in der Schweiz am Welternährungstag 2017 vorgestellt. Die SVIL kommentierte damals: «Die ‚Commonsʼ sind ein weiteres ‚soziales Experimentʼ. Die Staats-und Marktkritik der Commons-Idee ist irritierend. Sie stellt einen Rückschritt dar, der die Ursachen der sozialen und ökologischen Krise nicht löst und gerade die Arbeitswertlehre über Bord wirft, anstatt sie zum Nutzen aller weiterzuentwickeln.»

    Bieris Hauptbedenken ist offenbar, dass die Agrarökologie die arbeitsteilige, eben auch industrielle Ökonomie komplett durch eine rückwärtsgewandte Substistenswirtschaft ersetzen wolle.

  • Renationalisierung der Agrarpolitik

    Am meisten Zuspruch finden Bieri die Ausführungen von Prof. Dr. Mathias Binswanger zur «Tretmühle der Landwirtschaft» (immer mehr Produktivität bei stetig sinkendem Einknommen der Landwirte und Landwirtinnen durch die  Exportorientierung einer Landwirtschaft). Wie bereits in Agrarinfo berichtet, plädiert Binswanger für angemessene Einschränkungen des Freihandels für Agrarprodukte. «Der Vortrag», so Bieri, «lieferte die Argumente für eine Renationalisierung der Agrarpolitik.» Ein nicht gelöster wirtschaftlicher Konflikt entzieht der Landwirtschaft Einkommen, was die Landwirtschaft dazu treibt, mit Produktivitätssteigerungen Naturkreisläufe auf Kosten der Produktionsgrundlagen und auf Kosten der Lebensmittelqualität zu strapazieren.

    «Folglich ist beim ökonomischen Konflikt anzusetzen, um den daraus resultierenden ökologischen Konflikt zu lösen.» Es brauche eine Korrektur des falschen Entscheides der «Uruguay Runde», die Landwirtschaft in den Freihandel einzubeziehen, anstatt den natio-nalen Agrarpolitiken zu überlassen.

    Es gehöre sich auch, einen Unterschied zu machen zwischen der schweizerischen Agrarpolitik, welche die eigene Landwirtschaft im Interesse der Bevölkerung gegen eine nachweislich problematische Globalisierung schützt, und den privaten, global agierenden Nahrungsmittel-und Handelskonzernen. Denn gegen letztere könnten wir uns nur mit einer starken Agrarpolitik beziehungsweise einer Landwirtschaft in den eigenen Grenzen schützen.

  • Agrarökologie bedroht Versorgungssicherheit

    Die agrarökologischen Defizite sind durch den Freihandel vergrössert worden. Eine globale Nachhaltigkeitsstrategie kann die für die Schweiz notwendige Versorgungssicherheit im Ernährungsbereich nicht bieten.

    «Die Agrarökologie», so Bieri weiter, «hat auch die Versorgungssicherheit aus der nationalen Stabilitätspolitik herausgenommen und in die langfristige Nachhaltigkeitsfrage verschoben. «Dass wir ‘langfristig denken’ müssen, hatten wir schon erkannt, bevor Milton Friedmann, McKinsey und die neoliberale Deregulierung zu Gunsten der Shareholder alles umgekrempelt haben», betont Bieri.

    Bei der Nationalökonomie sei anzusetzen. Deshalb sei die nationale Regulierung zugunsten einer demokratischen Wirtschaft nach wie vor aktuell. Die Wirtschaft müsse zugunsten der Bedürfnisse der Menschen reformiert werden. Das Problem ist nach wie vor die nichtnachhaltige Wachstumswirtschaft und nicht die Landwirtschaft, welche unter diesen Rahmenbedingungen leidet. Der angekündigte «Systemwechsel» mittels globalisierter Agrarökologie greift zu kurz und hilft mit die nationale Agrarpolitik zu schwächen. Der Ansatz der Agrarökologie spart diese Ebene aus zugunsten global/lokaler Interventionen.»

    Bieri hat sicher Recht damit, dass die Versorgungsfunktion der arbeitsteiligen Wirtschaft zu würdigen und von den Lasten der Finanzvermögensbildung für die Shareholder zu entlasten sei. Ebenso stimmt es zweifelsfrei, dass man die globalen «Missfunktionen nicht der nationalen Agrarpolitik in die Schuhe schieben kann».

  • Eliten entdecken Suffizienz

    Zu Recht gibt Bieri auch die Flexibilität des Kapitalismus zu bedenken: «In diesem Moment entdecken nun «die Eliten» die Suffizienz. Mit anderen Worten, man kann die Kapitalgewinne auch dadurch bedienen, dass man den ‘Verschleiss’und ‘unnötigen’ Konsum senkt.

    Trotzdem geht Bieri mit der Agrarökologie zu hart ins Gericht. Die globale und verhängnisvolle globale Industrialisierung der Landwirtschaft kann von der kleinen Schweiz aus kaum gestoppt werden. Die Antworten, wie man die Volkswirtschaften und global agierenden Konzerne zum ökologischen und sozialen Umdenken bewegen solle, bleibt Bieri ebenso schuldig, wie er es der Agrarökologie vorwirft. Sicher hat die international aktive Bewegung der Agrarökologie wie alle Denkmodelle zahlreiche Defizite. Doch das Konzept verdient es, dass wir konstruktiv gemeinsame Ansätze suchen und pflegen, und davon konkrete Handlungsmöglichkeiten abzuleiten.

Die Diskussion ist eröffnet.  #agroecologyworks!

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  1. Hans Bieri Antworten

    Bruno Theiss klagt: «Die globale und verhängnisvolle globale Industrialisierung der Landwirtschaft kann von der kleinen Schweiz aus kaum gestoppt werden».
    Theiss will mit dieser trivialen Beobachtung offenbar sagen, die nationale Agrarpolitik kann die «verhängnisvolle globale Industrialisierung der Landwirtschaft» nicht «stoppen». Theiss meint offenbar, dass die globale von den NGO’s unterstützte Agrarökologie das jedoch könne und schiebt dann gleich nach «Die Antworten, wie man die Volkswirtschaften und global agierenden Konzerne zum ökologischen und sozialen Umdenken bewegen solle, bleibt Bieri ebenso schuldig, wie er es der Agrarökologie vorwirft.»
    Ich hatte in meiner Kritik jedoch geschrieben: „Hier bei der Nationalökonomie ist anzusetzen. Deshalb ist die nationale Regulierung zugunsten einer demokratischen Wirtschaft nach wie vor aktuell. Die Wirtschaft ist weiter zugunsten der Bedürfnisse der Menschen für eine sichere Lebenswelt zu reformieren.“ Das ist Theiss offenbar zuwenig. Dabei gibt uns die Demokratie die Mittel in die Hände durchzusetzen, dass Personen und ihre Lebens-und Versorgungsgrundlage (Ernährung) nicht dem freien/globalen Handel unterliegen dürfen. Diese „konkrete Handlungsmöglichkeit“ nach der Theiss ebenso sucht, übergeht die Agrarökologie jedoch ausdrücklich — übrigens ganz im Sinne des global tätigen Agrobusiness.
    Hans Bieri, 23.November 2019

    Meine kritischen Anmerkungen zur TAGUNG ZUM WELTERNÄHRUNGSTAG 2019:
    Agrarökologie – System Change in der Landwirtschaft, Zollikofen 16. Oktober 2019 —> http://www.svil.ch

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